
Via-Alpina Woche 9
Von Malbun übers Prättigau bis nach Montafon
📏76km, ↗ 3’330m, ↘ 3’470m
Von Malbun ins Prättigau
Es ist Montagmorgen kurz nach zehn Uhr. Doris und ich stehen, gestärkt durch das üppige Frühstück, unter dem Vordach vor dem Hotel und schauen mässig motiviert in den Regen hinaus.
Im Vordergrund liegt diese Woche, die Zeit mit Doris zu geniessen. So sind die Tagesetappen kürzer als sonst, damit wir auch Zeit neben dem Wandern haben und diese zusammen geniessen können.
Als Zusatz-Regenschutz gebe ich Doris vor dem Start noch meinen Regenrock und dann ziehen wir auch schon los, raus in den Regen.
“Na super!”, denke ich mir. Sie begleitet mich auf meinem Trail und dann regnet es am ersten Tag, in den ersten Minuten auch noch. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für ein motiviertes Losziehen. Doch sie steckt das zu meinem Erstaunen gut weg und wir steigen kurze Zeit später in Richtung Silberhorn auf.

Der Regen lässt unterwegs nach. Als wir an unserem Ziel, der Pfälzerhütte, ankommen, reisst sogar der Himmel langsam auf und lässt einige Sonnenstrahlen durch. Die Stimmung ist gut und wir werden herzlich in der Hütte empfangen. Nach einem Getränk, beziehen wir unsere Betten und verbringen die Zeit bis zum Nachtessen mit einer Runde Schach in der Hüttenstube.

Zum Nachtessen sitzen wir zu neunt am Tisch. Drei Deutsche und mit uns beiden, sechs Schweizer. Darunter Jessy und Aline, die im selben Zimmer wie Doris und ich übernachten. Es folgt der übliche Austausch und kurz darauf wird das Nachtessen serviert. Zum ersten Mal auf meinem Trail wird das Essen so serviert, wie ich es von Schweizer Berghütten gewohnt bin. Es wird pro Tisch und nicht pro Person, wie bisher auf den slowenischen, italienischen, österreichischen und deutschen Hütten serviert.
Heute gibt es zum Hauptgang eine leckere vegetarische Lasagne. Ich bekomme ein so grosses Stück, dass ich zu kämpfen habe, dies vollständig aufzuessen. Nach dem Nachtessen geniessen wir draussen das Wetter und prüfen online noch die Vorhersage für morgen. Später am Abend spielen wir mit Jessy und Aline in der Hüttenstube “Tschau Sepp” und gehen kurz nach neun Uhr in unserem Vierer-Zimmer schlafen.

Kurz nach sieben Uhr sind Doris und ich beim Frühstück. Wir sind beide hungrig, haben mässig gut geschlafen und so versuchen wir uns beim Frühstück für den heutigen Tag zu stärken. Kurz vor halb neun sind wir dann startklar. Heute führt uns der Weg vom Fürstentum hinüber nach Österreich und dann in die Schweiz. Der Wetterbericht verspricht starke Bewölkung, doch keinen Regen.
Schon nach rund einer Stunde entdecken wir “Murmelis”, circa zwanzig Meter vor uns, direkt neben dem Wanderweg. Wir laufen weiter und nähern uns beinahe lautlos und ganz langsam. So gelingt es, ohne dass sie in ihrem Bau verschwinden, uns bis auf einen Meter anzunähern. Wir zählen insgesamt vier Stück und sind so fasziniert, dass wir uns nicht getrauen zu bewegen und nur wenige Worte flüsternd miteinander austauschen.

Der Weg führt uns weiter über das “Gross Furgga Hochjoch” auf über zweitausend dreihundert Meter über Meer hinüber in die Schweiz. Das Wetter spielt mit und hat uns bisher mit Regen verschont, obwohl es Wolken unter- und oberhalb von uns hat. Wir sind sozusagen zwischen den Wolken unterwegs.

Nach der Grenze geht's bergab, vierhundert Höhenmeter tiefer zur Schesaplanahütte. Vor der Hütte treffen wir wieder Jessy und Aline, die, wie wir gestern herausgefunden haben, bis morgen dieselbe Route wandern wie wir. Drinnen in der Hütte frage ich beim Check-in nach einem Trocken- oder Schuhraum, dabei entdecken wir den wohl kleinsten Schuhraum, den ich bisher auf einer Hütte gesehen habe. Wir beziehen unsere gemütlichen Betten im Nebenhaus und richten uns ein.

Am späteren Nachmittag spielen wir ein Yatzy zusammen. Aus der Küche strömt ein herrlicher Duft und so freuen wir uns auf das baldige Nachtessen. Kurz vor dem Essen sitzen “Andy” aus England und “Veronika” aus Deutschland zu uns an den Tisch und spielen bei unserem Yatzy mit.
Pünktlich um halb sechs wird das Nachtessen serviert und unsere hungrigen Mägen verstummen. Es gibt als Vorspeise Salat und als Hauptgang leckeres "Ghackets mit Hörnli” (Hackfleisch mit Teigwaren), ein echter Schweizer Klassiker, und zum Dessert ein selbstgemachtes Schoggimousse.
Später spielen wir zu viert noch eine weitere Runde Yatzy und nehmen zum Abschluss noch ein “Müntze-Zwätschge” (Pfefferminztee mit Zwetschgenschnaps). Nach einem gemütlichen Abend gehen wir zufrieden ins Bett und schlafen kurz darauf ein.

Kurz nach unserem Frühstück starten wir und ziehen los hoch zum Gafalljoch, von wo es dann hinüber nach Österreich geht und dann hinab zum Lünersee. Die Wolken haben sich in der Nacht entleert und so kommen wir ohne Regen gut voran. Leider nimmt uns der Nebel immer wieder die Sicht und wir sehen nicht viel von der Umgebung.
Oben beim Joch sieht es dann leider auch nicht besser aus. Zu allem weht noch ein kühler und starker Wind, der einen langen Aufenthalt ungemütlich macht.

Montafon
So ziehen wir schnell weiter, hinab auf die österreichische Seite zum Lünersee. Kurze Zeit später und einige Höhenmeter weiter unten lichtet sich der Nebel und wir haben wunderbare Sicht auf auf den See.

Am späteren Nachmittag sind wir bei der Hütte, die direkt am See liegt, und erkundigen uns drinnen für das Check-in. Es nimmt uns eine Dame in Empfang, die meine Reservierung nicht findet. Daraufhin zeige ich ihr meine Buchungsbestätigung und sie blättert wild in ihrem Buch herum. Schliesslich teilt sie uns in ein Lager ein und wir können unsere Betten in einem Zwölfer-Schlag beziehen.
Die Hütte ist direkt mit der Seilbahn von einem Parkplatz im Tal erreichbar und hat daher nicht denselben Charme wie andere Berghütten. Wir fühlen uns trotzdem wohl und spielen in der Hüttenstube “Skyjo” miteinander.

Nach einem gemütlichen Abend gehen wir frühzeitig ins Bett und schlafen schnell ein.
Der nächste Morgen beginnt mit viel Sonnenschein und unseren hungrigen Mägen. Nach einem ausgiebigen Frühstück verabschieden wir uns von Jessy und Aline, schnüren unsere Schuhe und starten. Der Weg führt uns zuerst auf die andere Seite um den See und dann seitlich in ein Tal, hinauf zum Verajoch.

Wir kommen gut voran und erreichen kurz vor zehn Uhr das Verajoch, von wo wir zum Schweizertor absteigen. Die Gebirgskette öffnet sich hier wie eine Art Tor in Richtung Schweiz, wobei dieses genau die schweiz-österreichische Grenze markiert. Es gibt sogar ein altes Zollhaus hier, das früher auf diesem Pass vermutlich als Grenzkontrolle diente.

Am frühen Nachmittag treffen wir an unserem Tagesziel, der Lindauer Hütte, ein. Eine grosse und topmoderne Hütte, wunderbar gelegen inmitten von einem Nadelwald. Wir haben ein Vierbettzimmer und sind die Ersten. So können wir uns die Betten aussuchen. Später kommen noch zwei ältere, rüstige Herren zu uns ins Zimmer. Da wir die Betten unten gewählt haben, müssen die beiden oben Platz nehmen. Anfänglich haben wir kurz ein schlechtes Gewissen, doch die beiden sind fit und kommen ohne grosse Schwierigkeiten hoch.
Beim Abendessen setzen wir uns an einen Tisch, dort wo gerade noch Platz für uns zwei ist und lernen zwei Deutsche Herren, vermutlich gegen Ende zwanzig, kennen. Der eine geht oft wandern und der andere ist das erste Mal auf einer Hütte. Wir plaudern und tauschen uns aus. Später stossen noch zwei junge Frauen dazu. Ein gemütlicher Abend mit vielen spannenden Gesprächen geht zu Ende und wir ziehen uns zurück und gehen schlafen.

Der nächste Morgen startet gemütlich. Die heutige Etappe ist die Kürzeste dieser Woche und so frühstücken wir in aller Ruhe und besuchen vor dem Start noch den hauseigenen botanischen Alpengarten. Der Alpenverein hat hier in natürlicher Umgebung einen auf verschlungenen Wegen gelegenen Garten angelegt, in dem man die Pflanzen aus der Region kennenlernen kann.

Kurz nach halb neun Uhr starten wir und hoffen, einige von den uns gebliebenen Pflanzennamen unterwegs wiederzuerkennen. Der Weg führt uns zuerst leicht durch einen stimmigen Wald bergab und steigt dann in Richtung Bilkengrat rund sechshundert Höhenmeter steil an.
Wir kommen gut voran und haben im oberen Teil des Anstiegs eine wunderbare Weitsicht auf die “Drei Türme” und den "Öfapass", worüber wir gestern zur Hütte abgestiegen sind.

Kurz nach der Baumgrenze legen wir einen ersten Halt ein, snacken etwas und lassen unsere Blicke in die Weite schweifen. Dann wird der Weg alpiner, steigt weiter an und führt uns über den teils ausgesetzten Bilkengrat in Richtung Schwarzhorn. Zur Sicherheit ist dieser Teil mit Stahlseilen gesichert und so gelingt es uns, mit etwas Geschick aufzusteigen.

Auf dem Übergang zwischen Schwarzhorn und Grat legen wir einen weiteren Rast ein und geniessen die Ruhe. Nach knappen vierzig Minuten geht's weiter und wir nehmen den letzten Teil in Angriff und steigen zur Tilisunahütte ab.
Unterwegs dürfen wir eine atemberaubende Weitsicht auf die umliegenden Berge sowie den nahegelegenen Bergsee bewundern. Die Wolken bieten ein abwechselndes Licht-Schattenspiel, das teilweise die Landschaft in wunderschönen Effekten darstellt. Leichtfüssig geht es spazierend bergab und bald darauf treffen wir kurz nach halb zwei in der Hütte ein.

Zuerst sitzen wir draussen, lassen uns von der Wärme der Sonne anstrahlen und kommen mit diversen Gästen ins Gespräch. Am späteren Nachmittag checken wir ein und beziehen unsere Betten in einem Siebenbett-Zimmer. Wieder sind wir die Ersten und so können wir wählen. Da es nur Kajütenbetten gibt, schlafe ich oben und Doris unten.
Ab dem frühen Abend sind wir wieder in der Hüttenstube, spielen Karten und trinken etwas. Später stösst eine niederländische Frau mit ihrer Tochter zu uns an den Tisch, die gestern auch bereits auf derselben Hütte wie wir übernachtet haben. Zum Nachtessen setzt sich noch ein deutsches Pärchen zu uns, welches auch im selben Zimmer wie wir übernachtet.
Während dem Nachtessen bittet Markus, der Hüttenwirt, um Ruhe und hält eine Ansprache. Er erklärt uns, was wir in der Ferne aus den Fenstern beobachten können, erzählt uns, wie die Wege zu- und weg von der Hütte beschaffen sind und wie die Wettervorhersage für morgen aussieht. Weiter erfahren wir, dass aufgrund angesagter Gewitter morgen Nachmittag, das Frühstück morgen bereits ab halb sieben stattfindet. Alles in allem informativ und aus erster Hand. Etwas, das heutzutage auf vielen Hütten, vermutlich aufgrund der Digitalisierung, verloren geht. Nach einem angenehmen Abend mit vielen spannenden Gesprächen gehen wir um neun ins Bett und schlafen schnell ein
Kurz vor halb sieben stehen wir, wie auch einige andere, vor der verschlossenen Hüttenstube und warten hungrig auf das Frühstück. Pünktlich um halb sieben wird sie geöffnet und die Schlacht ums Buffet beginnt. Aufgrund den angesagten Gewittern starten wir heute auch früher und wollen so vor den ersten Tropfen im Tal sein.
Später, circa um halb acht, stehen wir im Trockenraum und schnüren unsere Schuhe. Dort treffen wir auch wieder die Niederländerin mit ihrer Tochter. Die Mutter hat kaputte Schuhe, genauer gesagt löst sich ihre Sohle vom Rest. Ich biete ihr an, ihre Schuhe mit meinem Sekundenkleber behelfsmässig für den Abstieg zu reparieren. Dankend nimmt sie an und so hole ich mein Reparaturkit hervor, verklebe die Sohle mit dem Schuh und sie kann glücklich und beruhigt in den Tag starten.
Auch wir starten und laufen über sanfte Hügel in Richtung Plasseggenpass.

Heute geht's über den Plasseggenpass südwestlich um die Sarotlaspitze und dann weiter über den Sarotlapass nach Gargellen ins Tal.
Nach guten vier Kilometern Weg sind wir beim Plasseggenpass und überqueren die Grenze zur Schweiz. Nun geht es für knappe dreissig Minuten über Geröllfelder durch die Schweiz und beim Sarotlapass wieder zurück nach Österreich.

Beim Sarotlapass knurren unsere Mägen und so legen wir einen ausgiebigen Rast ein. Ab hier führt uns nun der Weg über neun hundert Höhenmeter hinab ins Tal nach Gargellen.
Die Zeit und das Wetter sind auf unserer Seite und lassen uns gemütlich absteigen. In Gargellen steuern wir zuerst auf den Dorfladen zu. Doch der öffnet erst um fünfzehn Uhr wieder. So laufen wir zuerst zum gebuchten Wellness-Hotel, um dort einzuchecken. Denn ab hier verbringen wir zusammen noch zwei Nächte, bevor Doris nach Hause fährt und ich weiter wandere.

Den Abend lassen wir mit einem Drink in der Bar und einem Fünfgänger gemütlich ausklingen. Am anderen Morgen sind wir früh wach und gehen hungrig ans üppige Frühstücksbuffet. Da lassen wir uns Zeit und brunchen ausgiebig. Den Nachmittag verbringen wir mit einem kurzen Spaziergang und lockern unsere Muskeln und Faszien in der Sauna, bevor am Abend wieder ein leckeres Nachtessen serviert wird.
Am Abend entdecke ich noch zwei kleine Löcher in meinen Socken, die ich schnell verschliessen muss, bevor sie noch grösser werden. Natürlich wieder mit der vielseitigen Zahnseide aus meinem “Repkit”.

Die Zeit vergeht so schnell und schon ist wieder Sonntagabend. Morgen reist Doris nach Hause und für mich geht's weiter. Wir beide verdrängen den Moment des Abschieds noch und gehen mit gemischten Gefühlen ins Bett.
Nachklang
Diese Woche mit Begleitung ist schon etwas anderes als die Wochen, in denen ich nur mit mir alleine unterwegs bin. Ich schätze es sehr, dass mich Doris begleitet hat. War sie doch unsicher und hatte Bammel davor, ob sie denn dies auch schaffen würde. Rückblickend merke ich, wie sie die Etappen sehr gut meisterte und vermutlich nun eingelaufen wäre.
Hinzu kommt natürlich noch, dass mein Herzensmensch mich auf dem Trail begleitete und nun ein Teil davon ist. Sie ist stolz auf das, was sie erreicht hat und war erstaunt, als ich ihr die Höhenmeter mitteilte, die wir zusammen geschafft haben.
Für alle, die auch gern mal einen Tag mit dabei sein möchten und spontan sind, meldet euch bei mir und wir finden zusammen eine passende Etappe.
Nächste Woche bin zuerst noch in Vorarlberg unterwegs, bevor ich die Grenze zur Schweiz überschreite und einmal quer durchs Engadin wandere bis an die Grenze der Provinz Sondrio in Italien.
Bis dahin, liebe Grüsse aus Val Müstair im Engadin ✌🏼
Sascha
