
Via-Alpina Woche 8
Vom Bregenzerwald bis quer durch Liechtenstein
📏113km, ↗ 3’900m, ↘ 4’160m
Bregenzerwald
Die Nacht im Massenlager ist ruhig. Ich erwache kurz vor fünf Uhr morgens und höre, wie der Holzboden quietscht und knarrt. Soeben ist vermutlich jemand aufgestanden und hat sich auf den Weg zur Toilette gemacht. Ich drehe mich nochmals um und döse wieder weg.
Gegen halb sieben dreht dann einer der Herren, von meinem Tisch von gestern Abend, das Licht an und läutet so die Tagwache ein. Ich danke ihm, denn ich bin schon am Packen und habe mich ehrlich gesagt nicht getraut, dies zu tun. Wir sitzen alle wieder am selben Tisch und lassen uns das Frühstück schmecken. Später verabschieden wir uns allesamt und finden es schade, dass wir nicht alle in dieselbe Richtung laufen und uns heute Abend auf der nächsten Hütte wieder treffen.
Vom Regen und Gewitter gestern Nacht hängen die Wolken noch tief. Es weht ein leicht kühler Wind und so starte ich kurz nach acht Uhr von der Hütte in Richtung Tal.

Der Weg führt mich schon nach kurzer Zeit in die Wolken hinein und wird schlammig und rutschig. Das ohnehin schon abgelaufene Profil meiner Schuhe füllt sich mit Erde und nimmt mir viel Halt. Unter dem Einsatz meiner Stöcke nehme ich den mühseligen Weg in Angriff und kann mit genügender Vorsicht einigermassen sicher absteigen.

Irgendwann beginnt es auch wieder zu regnen und meine Schuhe füllen sich mit Wasser. “Ich muss heute Abend mal meine Schuhe begutachten”, sage ich leise zu mir. Denn ich vermute, dass diese eventuell langsam ihr Lebensende erreicht haben.
Während einer späteren Regen-Pause in der Nähe vom Ort Sonntag, nutze ich die Gelegenheit und gönne mir ebenfalls eine grössere Pause. Ich koche mir einen Eintopf mit Linsen, Bulgur und Gemüse. Dazu gibt's Roggenknäckebrot und Wasser. Klingt spartanisch, doch die warme Mahlzeit stärkt mich wieder richtig. So geht’s dann rund eine Stunde später weiter in Richtung St. Gerold.

Heute Abend und in der Nacht sowie morgen ganztags sind immer noch starke Regengüsse und teils Gewitter angekündigt. So lasse ich meinen geplanten Zeltplatz im Wald links liegen und steige knappe hundert Meter nach St. Gerold auf, um dort nach einer kostengünstigen Unterkunft zu suchen. Sofern ich da nichts finde, steige ich wieder ab und campe wie geplant wild.
Doch so weit kommt es nicht. Ich finde tatsächlich eine kleine günstige Pension, in der ich ein einfaches Zimmer mit Frühstück bekomme. Am Abend telefoniere ich mit Doris, schreibe an meinem Blog und gehe früh schlafen.
Illtal
Am nächsten Morgen beim Frühstück erzählt mir der Schwiegervater des Hauses etwas über das Vieh und das Leben auf den Almen rund ums Dorf. Ich höre gespannt zu, stelle Fragen und vergesse fast die Zeit. Kurz nach acht geht's los, hinaus durch Nebel und Regen hinab nach Feldkirch.

Es hat die ganze Nacht durchgeregnet, mal stärker, mal schwächer. So geht's nun heute auch den ganzen Tag weiter. Ich bin froh, dass ich mich für die Pension entschieden habe. Obschon es auch im Zelt geklappt hätte, doch halt nicht so warm und komfortabel wie hinter Mauern.
Es hat stark abgekühlt und so bin ich heute bei knappen zehn Grad unterwegs. Ich laufe die Hänge entlang durch Wälder und über Wiesen. Mal geht's hoch, dann wieder runter, doch grösstenteils immer talwärts.

Alles ist immer und überall nass. Mal regnet es normal, dann wieder stark. Mittlerweile habe ich wieder Pools in den Schuhen. Zu Beginn leere ich meine Schuhe jeweils noch und wringe die Socken aus. Doch irgendwann wird es mir zu blöd und ich lasse es sein.
Meine Füsse stecken das gut weg. Ich habe weder aufgeweichte Füsse noch Blattern. Dies habe ich unter anderem auch meiner abendlichen Routine zu verdanken. Denn jeden Abend creme ich meine Füsse mit einer Hirschtalg-Creme ein. Es ist ein wahres Wundermittel, das die natürliche Hautbarriere unterstützt, glättend wirkt und die Haut geschmeidig macht, auch dort, wo diese stark beansprucht wird.
Nach über fünf Stunden Dauerregen und teils schweisstreibenden kurzen Anstiegen beginne ich leicht zu frösteln und verspüre einen leichten Hunger. So lege ich trotz Regen eine Minipause ein und nehme einige hundert Kilokalorien zu mir. Kurz darauf ziehe ich weiter und merke, wie mein Körper wieder genug Energie hat, um Wärme zu produzieren. Trotz anhaltendem Regen, Pools in den Schuhen und teils leicht feuchten Kleidern am Oberkörper ist mir wieder warm und ich kann meine letzten Kilometer in Angriff nehmen.

So treffe ich motiviert am späteren Nachmittag in Feldkirch ein und gönne mir als erstes eine wohlverdiente Pause mit Kaffe und einem Gebäck. Kurz nach vier Uhr nachmittags kann ich im vorgebuchten Hotel einchecken. Denn morgen habe ich einen “Zero-Day”, also einen kompletten Ruhetag. So kann ich wieder einmal waschen, einkaufen und in Schaan bei der “CIPRA” vorbeischauen, doch dazu später mehr.
Am Abend wasche ich im Hotel, esse noch meinen Proviant leer und schreibe an meinem Blog. Draussen reisst sogar vor Sonnenuntergang noch der Himmel auf und ich kann in meinem Zimmer noch die letzten Sonnenstrahlen des Tages geniessen.

Am nächsten Morgen esse ich noch mein letztes Müsli aus meinem Vorrat zum Frühstück zu Ende und laufe zur nahegelegenen Bus Station, um dort den Linienbus von Feldkirch nach Schaan in Liechtenstein zu nehmen. Denn dorthin wurde ich von der CIPRA eingeladen, um ein bisschen zu plaudern und dies in einem Podcast aufzuzeichnen.
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Die Via-Alpina wird von der Alpenschutzkommission CIPRA verwaltet. Ich bin seit Oktober letzten Jahres als erster Volunteer bei der Via-Alpina ehrenamtlich mit dabei und unterstütze den Trail mit verschiedenen Aufgaben.
Dieses Engagement war gleichzeitig auch eine gute Vorbereitung für meine Weitwanderung. Bestimmt kann ich nach meiner Rückkehr die Via-Alpina mit meinen Erfahrungen vom Trail weiterhin unterstützen.
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Die Fahrt dauert zwanzig Minuten und so fahre ich zum ersten Mal in meinem Leben mit einem Linienbus über eine Landesgrenze. In Schaan werde ich im Büro von CIPRA durch Michael herzlich empfangen. Wir trinken gemeinsam einen Kaffee und unterhalten uns über die Via-Alpina und mein Unterwegssein.
Michael erzählt mir, wie die Aufzeichnung des Podcasts ablaufen wird und gibt mir noch einige wenige Tipps, bevor wir starten. Ich bin ein bisschen aufgeregt. Dann geht's auch schon los und wir plaudern miteinander.

Wie lange unser Gespräch gedauert hat, weiss ich nicht, doch es war eine sehr kurzweilige Sache. Wir hätten uns wohl noch lange weiter unterhalten können, doch der Podcast wird nur knappe dreissig Minuten lang sein, erzählt Michael mir.
Wir bleiben in Kontakt und ich verabschiede mich von ihm und fahre mit dem Bus zurück nach Feldkirch. Wieder in Feldkirch habe ich Zeit für ein bisschen Sightseeing in der Stadt und kann den Nachmittag geniessen. Später werde ich von Michael nochmals kontaktiert. Dabei fragt er bei mir nach, ob er einige Audio-Sequenzen von der Podcast-Aufzeichnung einer Kollegin für eine Wanderausstellung zustellen darf. Diese Aufnahmen sollen dann für Hörstationen verwendet werden. Ich stimme zu und bin dann auf diese Ausstellung, die ab Herbst in der Bodenseeregion stattfinden wird, gespannt.
Am Abend besuche ich mit Nora von der CIPRA und ihren Freunden das "Poolbar-Festival" in Feldkirch. Heute Abend ist der Eintritt frei, denn es steht kein Konzert an, sondern ein Quizabend. Das Ganze soll auf eine ähnliche Art und Weise wie ein Pub-Quiz gestaltet sein. So bin ich gespannt und mache mich auf den Weg.

Ich esse und trinke etwas und kurz darauf startet die Quiz-Runde auch schon. Es gibt vier Runden, doch Nora und ihre Freunde treffen erst in der zweiten Runde ein. Die Fragen sind nicht wirklich Allgemeinwissen, sondern eher in Richtung des Radiosenders FM4 und Musik ausgerichtet. Nora und ihre Freunde meinen zu mir, dass die Fragen letzte Woche im Wissen breiter gefächert waren als jetzt. So punktet unser Antwortzettel mit gähnender Leere anstatt mit vielen Antworten. 😉
Fürstentum-Liechtenstein
Nach einem gemütlichen Abend verabschieden wir uns alle voneinander und ich gehe zurück ins Hotel. Am nächsten Morgen lasse ich mir Zeit und starte erst gegen neun Uhr morgens. Denn in drei Tagen habe ich mit Doris in Malbun abgemacht, von wo sie dann eine Woche mit mir unterwegs sein wird. So kann ich mir genug Zeit lassen und die nächsten Tage schon beinahe spazierend und flanierend unterwegs sein.
Heute geht's nochmals auf eine Hütte. Der Weg dorthin führt mich aus Feldkirch hinaus und steil durch einen Wald den Berg hinauf. Weiter oben auf einer Anhöhe habe ich dann eine wunderbare Weitsicht mit Blick nach Lindau und Bregenz am Bodensee. Dort in der Ferne ist die nördliche Grenze der Alpen von hier gut zu erkennen, denn dahinter wird es deutlich flacher.

Kurz nach Mittag überquere ich die Grenze nach Liechtenstein. Auf der anderen Seite der Grenze sind mir die Wanderwegschilder wieder sehr vertraut und strahlen in leuchtendem Gelb. Am frühen Nachmittag bin ich dann auch schon auf der Hütte eingetroffen. Eigentlich viel zu früh, doch da ich ja Zeit habe, bleibe ich und verbringe den Nachmittag auf der Sonnenterrasse, schreibe an meinem Blog und bestaune die wunderbare Weitsicht in Richtung Schweiz.

Am Abend komme ich noch mit einem jungen Paar aus den Niederlanden ins Gespräch. Wir drei sind heute auf der Hütte die einzigen Gäste. Bis auf die Tagesgäste war es ruhig und wir gehen beizeiten ins Bett.
Die Nacht hingegen war laut, denn die Kühe draussen auf der Weide haben mit ihren Glocken die ganze Nacht ihr Bestes gegeben. So geht's etwas müde nach dem Frühstück los, hinab ins Tal nach Schaan.

Es trifft sich ausgezeichnet, dass ich nicht direkt nach Malbun weiterziehe, denn wie ich vor einigen Tagen festgestellt hatte, brauche ich sowieso neue Wanderschuhe. So geht's nun für eine Nacht über den Rhein in die Schweiz nach Buchs.

Kurz vor zehn Uhr stehe ich im Sportladen und erkundige mich nach meinen vorbestellten Schuhen. Denn ich hatte vor einigen Tagen das Glück, dass ich dieselben Schuhe, die ich bereits habe, immer noch bestellen konnte. “Warum neue suchen, wenn der aktuelle Typ Schuh perfekt passt”, dachte ich mir und bestellte ihn in diese Filiale.
Die Fachverkäuferin hilft mir weiter und bringt sie mir. Nach kurzer Anprobe, unterhalte ich mich noch mit der netten Verkäuferin über meine Tour und verabschiede mich anschliessend.

Mit den alten Schuhen konnte ich nun knapp tausend fünfhundert Kilometer zurücklegen. Dabei mehr als tausend auf der Via-Alpina und die restlichen davor. Nun hoffe ich, dass diese neuen Schuhe für die restlichen tausend fünfhundert Kilometer auf meiner Via-Alpina ausreichen werden.
Kurz nach Mittag kaufe ich noch Proviant für die nächste Woche ein und geniesse die Sonne mit einem Spaziergang um den Werdenbergersee. Den Nachmittag verbringe ich mit Nichtstun am See und schaue über zwei Stunden den Enten und Blässhühnern (auch Taucherlis genannt) zu, wie sie planschen und sich sonnen.

Das Städtchen “Werdenberg” im Hintergrund ist übrigens seit gut achthundert Jahren durchgehend bewohnt, gehört zu den noch wenigen erhaltenen Holzbau-Siedlungen aus dem Mittelalter und rühmt sich mit knapp sechzig Einwohnern als kleinste Stadt der Schweiz.
Am Abend übernachte ich im Zelt, koche mir etwas und gehe frühzeitig schlafen.

Nach einem kurzen Frühstück starte ich früh und überquere wieder den Rhein, um zurück nach Liechtenstein zu gelangen. Heute erwarten mich rund tausend dreihundert Meter Aufstieg und zwanzig Kilometer Distanz bis zu meinem Tagesziel, Malbun.
Der Wanderweg führt mich zu Beginn flach in Richtung Vaduz, von wo es dann steiler wird und ich wieder den Berg hochsteige.

Weiter oben habe ich zwischendurch einen super Weitblick bis nach Sargans und auf die dahinterliegenden Berge. Die Sicht reicht sogar bis zum "Foopass", einem Gebirgspass in den Glarner Alpen.

Der Morgen vergeht schnell und ich komme zügig voran. Allem voran merke ich, dass das Wandern mit den neuen Schuhen wieder ein ganz anderes ist. Ich habe besseren Halt, die Dämpfung ist wieder in Takt und der Schuh sitzt bequemer. Das ganzheitliche Gefühl ist im direkten Vergleich zu gestern einfach wieder um Welten besser.
Kurz vor Mittag erreiche ich über einen alten, achtundvierzig Meter langen, Tunnel das Saminatal. Von dort steige ich weiter ins Hochtal nach Malbun auf. Unterwegs bergauf gönne ich mir eine ausgedehnte Mittagspause mit sogar einem kurzen Power-Nap im Gras.

Am frühen Nachmittag bin ich bereits in Malbun im vorgebuchten Hotel eingetroffen, wo ich auf Doris warte. Sie trifft mit dem Bus erst in einer guten Stunde hier ein und so gönne ich mir vorab nach langem wieder einmal ein “Spezi”.
Als Doris eintrifft, lächelt sie hinter einem Holzzaun hervor und wir fallen uns glücklich in die Arme. Wir haben uns viel zu erzählen und geniessen den Nachmittag auf der Sonnenterrasse. Später gönnen wir uns ein Nachtessen im Hotel und lassen den Abend gemütlich ausklingen.

Der nächste Morgen startet mit einem gemütlichen Brunch. Heute steht weiter nichts auf dem Plan und so lassen wir uns intuitiv treiben. Am späteren Vormittag entdecken wir ein Minigolf, bei dem die Bahnen im ganzen Dorf Malbun verteilt sind. Da Doris ja Minigolf liebt, gibt es natürlich eine Partie. Sozusagen eine, um sich für die im Zillertal zu revanchieren. Dort habe ich ja die Partie letztmals gewonnen.
Nach einem gemütlichen Spaziergang durchs Dorf, achtzehn Bahnen und zwei Stunden später, steht fest, wer gewonnen hat. Doris! Sie geht aus dieser Partie mit einem Punkt knapp als Siegerin hervor.

Den Nachmittag und Abend lassen wir gemütlich ausklingen. Denn ab morgen begleitet mich Doris auf meiner Via-Alpina. Sie hat diesbezüglich ein bisschen Bammel, ob sie denn auch mithalten kann. Denn für mich ist das Wandern mit vielen Kilometern und Höhenmetern Alltag und für sie ja nicht.
Doch im Vordergrund steht, nächste Woche nicht ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sondern mit ihr auf dem Trail unterwegs zu sein und die Zeit zu geniessen. So habe ich die Routen entsprechend angepasst, dass es für sie keinen Gewaltmarsch wird und sie es auch mit mir geniessen kann.
Nachklang
Die Woche begann mit viel und starkem Regen. Bis vor dieser Woche hatte ich Glück und kam ohne komplette Regentage durch. Nur sporadisch gab es jeweils tagsüber Regen. Dabei merke ich, dass die Einstellung zu solchen kompletten Regen-Tage eine riesige Rolle spielt. Denn der Mindset macht vieles wett und hat einen starken Einfluss auf meine Motivation.
Die Aufzeichnung des Podcasts war für mich ein spezielles Ereignis. Habe ich doch noch nie so etwas gemacht und konnte so ja auch keine Erfahrungen mitbringen. Doch bin ich gespannt auf das Ergebnis und werde euch den Podcast gerne teilen, sobald dieser online ist.
Was für ein spezielles Gefühl ich doch hatte, als ich auf der Rheinbrücke stand und die Grenze zur Schweiz überquerte. Auf etwas mehr als tausend Kilometern habe ich es aus eigener Kraft geschafft, vom Meer bis zur Schweizer-Grenze über die Alpen zu laufen. Und meine Reise ist ja noch lange nicht beendet. Dies erfüllt mich bereits jetzt mit grossem Stolz und so freue ich mich auf die noch kommenden hunderten von Kilometern.
