Via-Alpina Woche 4

Via-Alpina Woche 4

Dienstag, Juni 17, 2025

Durchs Pustertal bis vor den Zillertaler-Hauptkamm

📏137km, ↗ 6’020m, ↘6’630m

Die drei Zinnen und der Pragser Wildsee

Es ist viertel vor neun abends und ich merke, wie hundeelend mir ist. Zum Nachtessen gab's einen grossen Haussalat, doch dieser verträgt mein Magen wohl nicht. Ich verlasse schon fast fluchtartig das Restaurant und eile zu meinem Hotel zurück. Ich quäle mich im Bett hin und her und muss diese Nacht mehrmals erbrechen.

Nach einer durchzechten Nacht liege ich kraftlos im Bett und kann mich knapp dazu bewegen aufzustehen. Ich wage einen Versuch, eine Etage tiefer in den Frühstücksraum. Dort erzähle ich der Chefin meine Situation und frage nach Zwieback. Daraufhin werde ich sofort umsorgt, sie macht mir Tee und bringt mir Zwieback. Wirklich essen mag ich noch nicht. So kaue ich mehr schlecht als recht eine halbe Stunde auf einem einzigen Stück herum und trinke meinen Tee. Anschliessend verlängere ich meinen Aufenthalt um einen Tag und ziehe mich auf mein Zimmer zurück.

Nach viel Schlaf, Wasser und ein wenig Zwieback nehme ich am frühen Abend einen Bouillonwürfel aus meinem Essensvorrat und verlange in der Küche heisses Wasser. Wieder werde ich wärmstens umsorgt und kann eine wohltuende Bouillon mit Zwieback essen.

Der nächste Morgen startet gut. Ich bin wieder etwas bei Kräften und merke, wie mein Körper nach Essen schreit. Denn durch das viele Wandern und die körperlichen Anstrengungen braucht er jeden Tag viel Essen. So schlage ich beim Frühstück ordentlich zu.

Am Vormittag fahre ich gestärkt mit dem Bus ins nahegelegene Städtchen, um diverse Besorgungen zu machen. Am frühen Nachmittag bin ich dann bereits wieder zurück im Zimmer und repariere einen Teil meiner Ausrüstung. 

Zum einen ist eine Naht bei meinem Wandershirt gerissen und zum anderen löst sich etwas von meinen Schuheinlagen. Bevor noch mehr Schaden entsteht, vernähe ich die Naht behelfsmässig mit Nadel und Zahnseide und leime die Einlagen mit Sekundenkleber.

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Zu meiner Ausrüstung gehört auch ein multifunktionales Reparaturset. So kann z.B. die reissfeste Zahnseide nicht nur zur Reinigung von Zahnzwischenräumen genutzt werden, sondern auch als Nähgarn. Um meinem rechten Trekkingstock habe ich zudem noch circa zwanzig Zentimeter Panzertape herumgewickelt, um Löcher oder ähnliches behelfsmässig zu reparieren.
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Für das Nachtessen habe ich mich heute im Hotel angemeldet und werde mit einem köstlichen Viergänger verwöhnt. Ich mag mittlerweile wieder ganz normale Wander-Portionen essen.

Am nächsten Morgen, kurz nach dem Frühstück, gibt's noch ein Erinnerungsfoto mit der Chefin und dann bin ich vor acht Uhr bereits wieder unterwegs.

Die Region ist sehr touristisch, das macht sich hier sogar an den Wegen bemerkbar. Sie sind gut in Stand und führen mich sanft hinten ins Tal hinein.

Heute bin ich zu den weltberühmten “Drei Zinnen” unterwegs. Ich stelle mich also schon mal auf grosse Menschenmassen ein und komme gut voran.

Hinten im Talkessel geht's bergauf, auf zweitausend fünfhundert Meter über Meer. Klingt nach Schnee und Schneefelder. Doch hier im Südtirol herrscht ein anderes Klima als noch vor einer Woche auf dem Karnischen Höhenweg. Je nach Lage, liegt hier aktuell erst etwas oberhalb von zweitausend fünfhundert Meter über Meer noch Schnee.

Im oberen Teil des Aufstiegs wird aus dem “Touri-Weg” sogar noch ein etwas anspruchsvoller Weg mit gröberem Schotter und Stufen.

Oben bei der "Drei Zinnen-Hütte" angekommen, tritt das ein, was ich erwartet hatte. Überall viele Menschen. Das mit einer ruhigen gemütlichen Pause wird wohl nichts! 

Etwas weiter entfernt, finde ich dann doch noch einen Platz, um diese eindrucksvollen Felsformationen in Ruhe bei einer Pause zu bestaunen. Sie sind in echt viel imposanter als auf Fotos und ich kann nun verstehen, warum so viele Menschen diese besichtigen möchten.

Der anschliessende Abstieg gleicht einer kleinen Völkerwanderung und ich frage mich, wie wohl hier die Menschenmassen im Sommer sind. Denn der nächste Parkplatz oder die nächste Busstation befindet sich nur knapp neunzig Wanderminuten mit leichtem Anstieg entfernt.

Etwa zehn Minuten später zweigt meint Weg von der Standardroute ab und ich bin wieder alleine unterwegs. Es geht über groben Schotter und durch fast trockene Flüsse hinunter ins menschenleere Tal.

Unten im Tal treffe ich auf eine dicht befahrene Strasse, von wo man in der Ferne die "Drei Zinnen" erblicken kann. Es gibt sogar ein Restaurant hier und ich starte einen neuen Versuch mit einem Salat.

Eine halbe Stunde später bin ich schon wieder auf dem Aufstieg zu meinem heutigen Tagesziel, einem Berggasthof. Steil bergauf durch schattenspendenden Wald führt mich der Weg an Stellungen aus dem Ersten Weltkrieg vorbei. Hier in diesem Tal war damals eine hart umkämpfte Front, wie auch bereits schon Teile vom Karnischen Höhenweg.

Die letzten paar hundert Meter Aufstieg führen mich über ausgesetzte Wege und geben der heutigen Etappe einen spannenden Abschluss.

Ich beziehe mein kleines Zimmer, koche mir etwas zu essen, studiere die nächsten Etappen und gehe spät schlafen.

Es ist halb acht Uhr morgens und ich stehe hungrig vor dem Frühstücksbuffet. Heute stehen wieder zwei Etappen auf dem Plan. Zudem weiss ich noch nicht, wo ich schlafen werde, geplant wäre wildes Zelten irgendwo weiter oben und nicht im Tal. So schlage ich beim Buffet zu und laufe eine Stunde später los.

Die heutigen Etappen führen mich am Pragser Wildsee vorbei und dann weiter talwärts in Richtung Welsberg. Doch zuerst geht es bergauf über alpines Gelände und rutschige Wege, die teils wieder mit Ketten gesichert sind.

Ich komme gut voran und mache noch extra Höhenmeter, um ein riesiges Geröllfeld weiter unten zu umgehen. Denn es zu durchqueren ist zu unsicher und zu kräfteraubend. Zudem höre ich oben in der Wand immer wieder Steinabbrüche.

Meine Mittagspause verbringe ich bei einem leichten Lüftchen und strahlendem Sonnenschein auf zweitausend vierhundert Meter über Meer. Nach der Stärkung geht's bergab zum Pragser Wildsee. Unterwegs treffe ich andere Wanderer, die zu einer nahegelegenen Hütte aufsteigen.

Darunter sind auch drei Studentinnen aus Israel. “Shai” und ihre zwei Freundinnen. Shai ist am Ende ihrer Kräfte und kann nicht weiter. So fragen mich die Freundinnen, ob ich absteige und sie bis zur nächsten Busstation begleiten kann. Ich bejahe und nach wenigen Minuten geht's auch schon weiter.

Beim Abstieg unterhalten wir uns und ich erfahre, dass sie nun nach Israel zurückfliegen wird. Deshalb möchte sie heute noch einen internationalen Flughafen erreichen. Sie ist spürbar nervös und hat Angst. Ich versuche sie zu beruhigen. Doch mir ist sofort klar, dass ihre Vorstellung, heute noch einen Flughafen zu erreichen, schwierig wird. Denn wir sind in den Bergen, es ist bereits fast zwei Uhr nachmittags und der nächstgelegene Flughafen, Venedig, liegt nicht gleich um die Ecke.

Kurze Zeit später erreichen wir den Wildsee. Auch hier verweilen wieder sehr viele Touristen. Es ist schwierig die Ruhe und Kraft eines solchen Ortes zu geniessen, wenn rundherum so viel Jubel-Trubel herrscht. Hinzu kommt, dass ich ja noch eine Begleitung habe. So geht's bereits nach fünf Minuten weiter.

Weiter vorne an der Bushaltestelle sucht sie ganz verzweifelt im Internet, Bus- und Zug-Verbindungen nach Venedig. Währenddessen erfahre ich von deutschen Touristen, dass sich an der End-Bushaltestelle des Busses, der hier fährt, eine Touristeninformation befindet. Sie bieten mir an, Shai dorthin zu begleiten, da sie sowieso dort auch aussteigen werden. Ich nehme das Angebot an, bedanke mich bei ihnen, verabschiede mich von Shai und wünsche ihr eine gute Heimreise.

Anschliessend steige ich weiter ab und stelle fest, dass ich hinter meinem Zeitplan liege. “Mit wildem Zelten in den Bergen wird heute wohl nichts mehr”, sage ich leise zu mir. Doch weiter schlimm ist das nicht. Da ich sowieso müde bin, werde ich morgen weiter aufsteigen. Gegen acht Uhr abends suche ich mir auf meiner Route einen geeigneten Schlafplatz im Wald und werde kurz darauf auch fündig.

Ich koche mir noch mein Nachtessen und schlafe schnell ein. Am Morgen weckt mich der Wecker eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang. Es ist viertel vor fünf morgens und ich will kurz nach Sonnenaufgang weg sein! So lüfte ich meinen Quilt und Inlet, während ich mein frisches Müesli frühstücke und packe anschliessend alles zusammen, um kurz nach halb sechs loszuziehen.

Der Morgen ist herrlich kühl und der Weg wird mich heute über die Grüblscharte ins parallel liegende Tal führen. 

***

Rieserferner-Ahrn Naturpark

Doch zuerst geht’s eine gefühlte Ewigkeit über geteerte Strassen weiter dem Tal entlang. Der Anblick ins Tal hinein, wie die Sonne ihre Strahlen über die Berge legt, fasziniert mich und lässt mich gut vorankommen.

Weiter hinten zweigt der Weg ins Seitental ab und es geht langsam in vier Stunden wandern, tausend einhundert Höhenmeter bergauf zur Grüblscharte.

Gegen Mittag brennt dann die Sonne unermüdlich vom Himmel und ich muss unterwegs etliche Male meine Wasservorräte auffüllen. Bergauf begleitet mich nebst der Sonne auch ein herrlich intensiver und frischer Geruch nach Pinien mit einem mit lauwarmem Lüftchen.

Oben angekommen, erblicke ich eine wunderbare Weitsicht auf mein heutiges Tagesziel im Tal und das Morgige, das auf den schneebedeckten Bergspitzen in der Ferne liegt.

Es geht bergab über Wiesen und durch Wälder. Drei Stunden später bin ich im Tal und schlage mein Zelt auf einem Campingplatz auf und geniesse eine wohlverdiente Pizza aus dem Steinofen.

In der Nacht wache ich mehrmals auf. Die Campingplatz-Beleuchtung ist grell und leuchtet die ganze Nacht. “Wieso in aller Welt haben die so helle Beleuchtung in der Nacht?”, rege ich mich auf und habe das Gefühl, dass dieser Camping nicht zeltfreundlich ist. In diesem Moment sehne ich mich nach meinem dunklen Zeltplatz im Wald von gestern Abend zurück.

Der Morgen danach startet dennoch gut und ich fühle mich fit genug, um heute auf zweitausend achthundert Meter über Meer aufzusteigen. 

In der Hütte oben habe ich gestern angerufen, um mich anzumelden, denn offiziell ist sie noch nicht geöffnet. So starte ich und steige zügig auf, laufe durch den Wald und quere mehrere kleine Bäche.

Unterwegs treffe ich eine Gruppe Trailrunner an, die für "Ultra-Race" am Matterhorn trainieren. Das ist ein Lauf ums Matterhorn mit Kategorien von bis zu siebzig Kilometern, wie ich von einem aus der Gruppe erfahre. Wir unterhalten uns laufend bergauf noch eine Weile, bis ich mich von seinem Tempo trenne und meinen Wasservorrat nachfüllen muss.

Der Weg wird alpiner und führt wieder über Geröll, steile Treppen und kleine Schneefelder hoch hinaus.

Kurz vor dem Ziel muss ich noch ein grösseres Schneefeld queren, wo sich am unteren Ende sogar ein kleiner Eissee gebildet hat.

Nach rund tausend fünfhundert Höhenmeter Aufstieg bin ich oben auf zweitausend achthundert Meter über Meer angekommen. Der bisher höchste Punkt auf meiner Reise!

Ich geniesse den Augenblick, mache später einige Fotos und bin erstaunt, dass ich hier oben wieder auf “Aliocha” treffe. Wir freuen uns beide über das Wiedersehen und tauschen uns kurz aus. Er sei müde, wie er mir erzählt. “Bleibe doch eine Nacht hier oben und geniesse die Zeit”, biete ich ihm an. Doch er verneint und meint, dass er heute zumindest einen Teil ins nächste Tal weiter absteigen möchte. Wir verabschieden uns voneinander und er zieht weiter.

Ich bleibe auf der Hütte, esse etwas verspätet mein Mittagessen, geniesse den Nachmittag und schreibe an meinem Blog.

Am Abend setzte ich mich in den hinteren, warmen Teil der Hüttenstube, wo bereits drei weitere Gäste am Ofen Platz genommen haben und “schnapsen”. Das ist ein Kartenspiel, das ich bereits kenne, doch hier anders gespielt wird. 

Sie bieten mir an auch mitzuspielen, doch habe ich schon beim Zusehen meine Schwierigkeiten mit den hiesigen Karten. 

Später verköstigen uns die beiden Hüttenwirte mit herrschaftlichem Nachtessen. Die Unterhaltung mit den drei anderen Gästen, die übrigens aus der Region sind, ist für mich sehr bereichernd und ich erfahre vieles über Land und Leute. Nach vielen spannenden Gesprächen wünschen wir uns eine gute Nacht und gehen schlafen.

Kurz nach sieben Uhr morgens bin ich wieder unten und freue mich auf's Frühstück. Die anderen drei Gäste stossen später auch dazu und wir frühstücken gemeinsam, bevor ich mich dann von ihnen verabschiede und wieder weiterziehe.

Obwohl wir auf zweitausend achthundert Meter über Meer sind, war die Nacht draussen für diese Jahreszeit warm. Die Temperaturen lagen bei knappen acht Grad. Dies merke ich auch beim Verlassen der Hütte.

Es ist kurz vor acht Uhr, angenehm mild und ich spüre, wie die Sonne mit ihren feinen Strahlen mich wärmt.

Auf dem Weg bergab habe ich so meine Schwierigkeiten, die Wegmarkierungen zu finden. Diese sind teilweise noch unter dem Schnee versteckt oder liegen schlichtweg im falschen Winkel zu mir. So muss ich öfters anhalten, um den Weg durch Geröll und Schnee mit vorausschauendem Blick zu finden oder zu erahnen.

Die Landschaft ist in ein herrliches Licht getaucht und ich vermute, dass dies wohl die letzten Schneefelder in dieser Grösse sind, die ich auf meiner Via-Alpina antreffen werde.

Es geht weiter über Geröll und später durch Wiesen- und Waldwege bis der Weg rund tausend Höhenmeter weiter unten wieder flacher wird und entlang eines Flusses führt.

Unten im Tal führt mich der Weg auf die andere Talseite und steigt wieder leicht an. So erhasche ich unterwegs nochmals einen Blick auf die Bergspitzen und sehe, von wo ich heute gekommen bin. 

Mein heutiges Ziel, ein kleines Hotel, erreiche ich am Nachmittag. Ich werde heute jedoch nur einen halben Ruhetag einlegen. Denn ab kommenden Donnerstag wird mich Doris für vier Tage besuchen und ich habe dann genügend Zeit, um mich auszuruhen.

Später kaufe ich noch etwas ein, wasche behelfsmässig meine Wanderkleidung, dusche mich wieder einmal, schreibe an meinem Blog und gehe spät schlafen.

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Nachklang

Die heftige Reaktion meines Körpers auf das Essen im Restaurant hat mir gezeigt, wie schnell sich das Blatt wendet und ich meine Tour nicht mehr wie geplant fortsetzen kann. Glücklicherweise habe ich mich davon sehr schnell erholt. Ich nahm meine Gesundheit und die grosse Leistungsbereitschaft meines Körpers als selbstverständlich wahr und hatte nicht mit sowas gerechnet. Ich bin unglaublich dankbar, dass ich meine Tour bei bester Gesundheit durchführen darf und schätze dies nun umso mehr.

Mein Hunger hat sich mittlerweile auf einem relativ hohen Niveau eingependelt. Ich zähle zwar keine Kalorien, doch merke ich, dass sich mein Hungergefühl, zum normalen Alltag, in etwa verdoppelt hat. So vermute ich, dass ich dabei auf gute vier- bis fünftausend Kilokalorien pro Tag komme. Also doch der “Hiker-Hunger”. 🙂

Bisher war ich viel alleine unterwegs und traf keine bis sehr wenige Wanderer an. In den Hütten bin ich weiterhin auch fast alleine und freue mich jeweils, wenn andere Gäste anwesend sind, um spannende und interessante Menschen kennenzulernen.

Die kommende Woche bin ich zuerst südlich entlang des Zillertaler-Hauptkammes unterwegs und überquere dann das Pfitscher-Joch, hinein ins Zillertal. Dort wird mich dann Doris für vier Tage besuchen und wir werden die gemeinsame Zeit miteinander geniessen.

Bis dahin, liebe Grüsse aus dem Süden vom Zillertaler-Hauptkamm ✌🏼

Sascha

Manu
hat geschrieben
Mittwoch, Juni 18, 2025, 07:00
Hoi Sascha
Danke, dass du eus immer mitnimmsch uf dini Wanderige - ich freu mich immer, vo dir zlese!
Heb dir Sorg und gnüss d Täg mit de Doris...
Grüessli Manu
Edith Mair
hat geschrieben
Samstag, Juni 21, 2025, 13:44
Hallo Sascha, wir haben uns auf der Rieserfernerhütte kennengelernt, nun verfolge ich interessiert deinen Weg. Geniesse die Zeit in Zillertal, und dann wieder Gutes weiterwandern! LG Edith
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