
Via-Alpina Woche 3
über den Karnischen Höhenweg
📏214km, ↗ 8’180m, ↘7’450m
Karnischer Höhenweg
Nach meinem Frühstück, checke ich um halb acht im Hotel aus und unterhalte mich noch kurz mit der Rezeptionistin. Heute geht's mit dem Bus ins Nachbardorf, von wo ich vorgestern meinen Ruhetag begonnen habe.
Dass das Wetter nicht mitspielt und ich schlussendlich den Karnischen Höhenweg nicht so wandern kann, wie ich mir vorgestellt habe, weiss ich noch nicht, doch dazu später mehr.
Hochmotiviert und mit neu eingekauftem Proviant im Rucksack starte ich für die nächsten sieben bis acht Tage in den Karnischen Höhenweg.

Mein heutiges Tagesziel liegt circa sieben Stunden entfernt und wird eine Hütte sein. Der Weg steigt an und führt mich wieder weiter entlang der Österreichisch-italienischen Grenze. Ich kann sogar gleichzeitig in beiden Ländern wandern, mit dem linken Bein in Italien und dem rechten in Österreich.

Es ist leicht bewölkt und angenehm kühl zum Wandern. Doch für heute Abend und in der Nacht hat der Wetterbericht kalte Winde und Regen vorausgesagt.
Als ich in der Hütte eintreffe, erkundige ich mich nach einem Schlafplatz und erfahre, dass die Crew heute Abend wieder absteigt, aber ich dennoch übernachten kann. Ich lehne ihr Angebot bezüglich Nachtessen und Frühstück ab, da ich alles bei mir habe. So bin ich ab circa sechs Uhr abends alleine in der Hütte, koche etwas und entdecke später sogar noch das kleine Highlight hier auf dieser Hütte. Die Aussicht auf dem WC!

Die ganze Nacht pfeift der Wind um die Hütte und der Regen prasselt ans Fenster, trotz all dem habe ich einen erholsamen Schlaf.
Der Tag startet früh, denn heute stehen gleich mehr als zwei Tagesetappen an. So sattle ich meinen Rucksack und öffne kurz nach sechs Uhr die Hüttentüre.

Der Weg führt mich über verschiedene Almen, wobei einige davon noch nicht in Betrieb sind. Dieser Weg über die Almen von der “Feistritzer Alm” bis zur “Wolayerseehütte” werden hier auch mal gerne “Karnische Milchstrasse” genannt. Denn hier wird Gailtaler Käse nach alter Tradition hergestellt.
Unterwegs erwarten mich auch unmarkierte und überwachsene Wege, die mir viele Nerven und Navigations-Geschick abverlangen. Teilweise muss ich mich da langsam herantasten, denn der Boden ist schlichtweg durch das Gestrüpp nicht sichtbar.

Hinzu kommt, dass der Weg an einigen Stellen rutschig und ausgesetzt ist. Gegen Mittag ziehen dann noch Regenwolken und Nebel auf, was es langsam ungemütlich macht. Denn mir ist bewusst, dass ich erst gegen sechs Uhr abends an meinem Ziel sein werde.

Am Nachmittag fängt es an zu regnen und bei mir kommen langsam Zweifel an meinem heutigen Tagesziel auf. Meine Motivation verfliegt so langsam und ich prüfe ständig, wie weit es denn noch ist.
Der Wind drückt die Wolken in die Täler und umhüllt mich innert wenigen Minuten. Es wird rasant kühler. Ich versuche all dies zu ignorieren und steige weiter auf.
Weiter oben erwarten mich zu all dem noch Schneefelder mit grossen Felsen. Ich muss immer öfter Pausen einlegen und merke, wie ich mich auf mein Ziel freue.

Auf knapp zweitausend Meter über Meer steuere ich anhand meiner GPS-Uhr mein heutiges Tagesziel an.
Ich suche, knapp hinter der italienischen Grenze, eine rote Biwakschachtel, die eigentlich aufgrund ihrer Farbe gut zu erkennen sein sollte, doch bei diesem dichten Nebel kann ich gerade mal zwanzig Meter weit sehen. Ich prüfe meinen Standort und merke, dass ich am falschen Ort suche. Mist!
Fünf Minuten später bin ich mir dann sicher, dass ich nun auf dem richtigen Weg bin. Wobei Weg die falsche Bezeichnung ist, ich laufe über alpine Wiesen durch dichten Nebel, geführt von meinem GPS.
Plötzlich taucht etwas Rotes vor mir auf. “Endlich, ich habe es geschafft!", sage ich laut. Ich öffne die Tür und freue mich wie ein kleines Kind auf dieses Biwak.

Schnell wechsle ich meine Kleidung, richte mich gemütlich im Biwak ein und koche mir eine warme Mahlzeit.
Was für ein Tag! Nach dem Nachtessen finde ich heraus, dass ich heute insgesamt über vierzig Kilometer mit zweitausend Höhenmetern Auf- und Abstieg geschafft habe! Das merke ich und schlafe früh ein.

Die Nacht war kühl und windig. Immer wieder wachte ich auf und hörte, wie der Wind den Regen ans kleine Fenster prasseln liess.
Nach meinem Müsli packe ich meinen Sachen und ziehe los. Draussen bläst mir ein garstiger und eisiger Wind ins Gesicht, der den Nebel auf den Grat hochdrückt.

Die Wettervorhersage verspricht ab Mittag etwas aufgelockerte Bewölkung, was mich motiviert. Doch zuerst gibt's am Vormittag noch dichten Nebel. Immerhin, der Weg macht heute dem karnischen Höhenweg alle Ehre. Es führt teils über Grate und abschüssige Felder mit vermutlich traumhafter Weitsicht. So kämpfe ich mich durch den eisigen Wind und dichten Nebel über die Grate und stelle mir den Ausblick auf die Täler und umliegenden Berge halt nur vor.

Gegen Mittag verzieht sich tatsächlich noch der Nebel und der Wind lässt nach. Ich komme gut voran und bin am späteren Nachmittag in der nächsten Hütte.

Dort werde ich herzlich empfangen und unterhalte mich mit dem Hüttenwirte-Paar. Aus unserem Gespräch heraus merke ich, dass ich zu wenig Bargeld für die nächsten Hütten bei mir habe und auch, dass das Wetter in drei Tagen umschlägt und Neuschnee mit sich bringt.
Ich ignoriere vorerst das Wetter-Problem und kümmere mich um das Bargeld-Problem. “Wie konnte das nur passieren!”, sage ich leise zu mir und rege mich auf, dass ich am letzten Ruhetag nicht noch welches geholt habe.
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Nicht in allen Hütten kann mit Karte bezahlt werden. So wäre geplant, dass ich an jedem Ruhetag prüfe, ob ich noch genügend Bargeld für die nächsten Etappen dabei habe.
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Nach langem hin und her beschliesse ich meine Route von morgen zu ändern. Ich werde ins nächste Dorf absteigen, wo es einen Bankomaten gibt und steige dann wieder zur nächsten Hütte auf. Das Wetter-Problem lasse ich vorerst sein und hoffe, dass sich der Wetterbericht noch ändert.
Am Abend sitze ich gemütlich mit den anderen beiden Gästen am Tisch. Wir unterhalten uns und essen gemeinsam das Abendessen. Sie sind fasziniert von meinem Vorhaben und fragen mich dazu ausgiebig aus. Ich jedoch, bin erstaunt von ihrem Erlebten in den Etappen, die bei mir noch folgen werden. Denn sie laufen in die entgegengesetzte Richtung des Karnischen Höhenweges und so können wir uns prima über die Bedingungen auf dem Weg austauschen. Dabei erfahre ich leider über die prekären Verhältnisse mit Schnee und Eis und sehe auf Bildern, wie viel Schnee noch liegt und dass teils Winterräume versperrt und nicht zugänglich sind. Trotz dieser beunruhigenden Tatsache kann ich den Abend geniessen und gehe kurz nach neun Uhr schlafen.

Nach einer ruhigen Nacht stehe ich erholt auf, starte nach einem ausgiebigen Frühstück gestärkt in den Tag und wandere früh los. Es geht entlang von Bächen und Wiesen talwärts in das knapp tausend Höhenmeter tiefer liegende Dorf.

Um elf Uhr habe ich wieder genügend Bargeld bei mir und bin bereits wieder auf dem Aufstieg. Der Himmel verdunkelt sich und es fängt wieder an zu regnen. Es ist wie Aprilwetter, mal regnet es, dann lockert die Bewölkung wieder etwas auf und einige Sonnenstrahlen treffen mich, doch hauptsächlich ist der Aufstieg eine regnerische und feuchte Angelegenheit. Obwohl die Stimmung düster scheint, fasziniert sie mich.

In der Hütte oben übernachte ich im Matratzenlager und bin, wie bisher oft, der Einzige darin. Später tausche ich mich mit dem Wirt bezüglich der Wettersituation und Hütten aus. Lange liege ich diese Nacht noch wach und bin unschlüssig, was ich die nächsten Tage tun soll.
Es liegt noch sehr viel Schnee, die Hütten öffnen erst gegen Ende Juni und wie ich erfahren habe, sind die Winterräume teilweise geschlossen oder nicht zugänglich. Weiter kommt hinzu, dass das Wetter umschlägt und Neuschnee fällt.
Dies alles bewegt mich dazu, meine geplante Route zu ändern und die letzten drei Etappen auf dem Karnischen Höhenweg in tiefer gelegenen Wegen zu umgehen. Zur Option steht mir die italienische oder die österreichische Seite. Auf der italienischen Seite könnte ich einen Teil über den “Sentiero Italia” wandern, doch auch dieser würde wieder auf zweitausenddreihundert Meter über Meer ansteigen, und ab zweitausend liegt je nach Lage noch Schnee. Zudem fällt ja wieder Neuschnee. So bleiben mir auf der italienischen Seite nur grosse Umwege. Schlussendlich fällt mir die Entscheidung für die österreichische Seite leichter und ich hoffe, dass es die Richtige ist.
Nach einer verhältnismässig kurzen Nacht, stehe ich motiviert bei Adrian in der Hüttenstube und checke nochmals das Wetter. Ein Blick nach draussen verheisst für heute Morgen Gutes, doch das Wetter in Bergen kann sich teils innerhalb einer halben Stunde schnell ändern.

Die Bedingungen für übermorgen sehen immer noch gleich miserabel aus wie gestern. So starte ich meinen letzten Teil des Karnischen Höhenwegs bis zur Wolayerseehütte.
Der Weg führt mich den Talkessel hinauf, auf nochmals knapp zweitausend Meter über Meer. Das Wetter heute morgen ist herrlich und so quere ich schon fast leichtfüssig wieder diverse Schnee- und Geröllfelder bergauf. Unterwegs treffe ich sogar die ersten “Murmelis” inklusive Jungtiere, die aus ihrem Winterschlaf erwachen.

Ich bin motiviert trotz des Wissens, dass ich meine letzten drei Tagesetappen auf dem Karnischen Höhenweg nicht gehen kann und die Via-Alpina auf tiefer gelegene Wege verlegen muss.
Kurz bevor ich zum Wolayersee absteige, snacke ich etwas, geniesse die Umgebung, die wundervolle Stille und den leichten Windzug im Rücken.

Der anschliessende Weg bis zur nächsten Hütte führt mich über ausgedehnte Schneefelder bergab. Dabei komme ich gut voran und bin schon fast routiniert auf den Schneefeldern unterwegs.
Um circa halb zehn morgens stehe ich bei der Wolayerseehütte, wo mein Weg vom Karnischen Höhenweg abzweigt. Ich schaue kurz in die Hütte rein, um Helmut, dem Hüttenwart, Bescheid zu geben, dass ich derjenige sei, den Wolfgang (Hüttenwart vor zwei Tagen) telefonisch angemeldet hat.
Er bedankt sich bei mir und unterstützt bei einem kurzen Austausch meine Wahl zur österreichischen Seite.

Es geht rund tausend Meter bergab auf neunhundert Meter über Meer. Ich quere mehrmals denselben Bach und spüre auf meiner Haut, wie die Temperaturen mit fast schon jedem Meter den ich absteige, ansteigen.

Unten im Tal steuere ich einen kleinen Camping an, um mich wieder einmal zu duschen. Die Bäche, Bergseen und das Wetter waren mir bisher einfach zu kalt, um mich dort zu “waschen”.
Übrigens: Kurz bevor ich aus dem Wald zum kleinen Dorf mit dem Camping ankomme, habe ich ein für mich skurriles Schild gefunden, welches vor Wolfsangriffen aus dem Gebiet warnt, aus dem ich gerade gekommen bin.
Ich dusche, koche mir etwas, unterhalte mich noch mit den wenigen anderen Gästen und gehe früh schlafen.

Am nächsten Morgen bin ich schon um fünf Uhr wach, drehe mich jedoch noch einmal um, und nicke nochmals ein. Um Punkt sechs Uhr weckt mich dann endgültig die hiesige Kirchenglocke und ich krieche aus meinem warmen Nest heraus.
Ich frühstücke, packe und laufe kurz nach sieben los. Heute erwarten mich rund dreiundvierzig Kilometer mit neunhundert Meter Auf- und Abstieg. Ich will diese Talrunde möglichst schnell hinter mich bringen!
Der Weg führt entlang eines Flusses und teilweise ins Dickicht, wo ich blöderweise wieder umdrehen muss. Andererseits auch über herrlich grüne Wiesen mit leicht erkennbaren Wegen.

Am frühen Abend, kurz nach einem kleinen Gewitter, gönne ich mir dann auf einer Schaukel noch eine kleine Pause, bevor es auf einem sehr einladenden Weg bergab zu meinem nächsten Tagesziel geht.

Ich bin froh, dass ich den Tag geschafft habe und schlage etwas erschöpft mein Zelt auf. Am späteren Abend treffe ich einen Radfahrer aus Hawaii, der von Barcelona nach Wien radelt. Wir sind beide voneinander fasziniert und tauschen uns über Gepäck, Gewicht und vielem anderen aus, so lange, dass es schon langsam eindunkelt und wir fast die Zeit vergessen.
Am Tag darauf bin ich wieder früh auf den Beinen, doch brauche ich fast zwei Stunden bis ich starten kann. Normalerweise dauert das Erwachen über Frühstück und Packen bis zum Loslaufen eine knappe Stunde. Aber heute ist alles sehr träge.
In der Nacht fing es wieder an zu regnen und so musste ich wieder einmal mein Zelt nass einpacken. Auch der Tag ist wieder im April-Mood und lässt mich Regenkleider an- und ausziehen. Bei einer Mittagspause blinzelt dann längere Zeit doch noch die Sonne hinter den Wolken hervor und ich kann mein Zelt über einer Sitzbank trocknen lassen.

Am frühen Nachmittag betrete ich mein vorher gebuchtes Hotel und freue mich riesig auf meinen kommenden Ruhetag. Es gibt sogar einen Wellness-Bereich, den ich morgen nutzen möchte, sag ich mir und gehe abends ins nahegelegene Restaurant essen.

Kurz nach halb sieben bin ich zurück im Hotel und liege mit aufgeblähtem Magen im Bett. Mein Magen spielt verrückt und mich erwartet eine schreckliche Nacht mit wenig Schlaf und Erbrechen. So habe ich mir den Start in den kommenden Ruhetag nicht vorgestellt.
Nachklang
Ich kann es kaum glauben, nach nur drei Wochen habe ich bereits über fünfhundert Kilometer mit über fünfzehntausend Höhenmeter hinter mich gebracht. Ich bin gemäss meiner Planung genau im Zeitplan, doch merke ich gleichzeitig, dass ich viel zu schnell unterwegs bin. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit liegt irgendwo bei über fünf Kilometer pro Stunde.
Ich möchte das Ganze eigentlich langsam angehen. Wieso bin ich dann so schnell unterwegs? Eine Frage, auf die ich aktuell keine Antwort habe. Gleichzeitig merke ich, wie mir das Unterwegs-Sein mit den Etappen gefällt, doch ich könnte ja einfach mal versuchen, meine Tagesetappen auf den ganzen Tag zu verteilen und so etwas Geschwindigkeit rauszunehmen. Denn ich merke, dass ich und mein Körper genug fit für solche Etappen sind.
Ich werde also weiterhin früh morgens starten und tagsüber Tempo rausnehmen, um dann am Abend hoffentlich entspannter anzukommen.
In der kommenden Woche werde ich die weltberühmten Drei Zinnen und den Pragser Wildsee besuchen. Übrigens: Bezüglich meines Ruhetages und den Magenbeschwerden geht es mir mittlerweile wieder besser, doch dies ist eine Geschichte, die ich euch nächste Woche erzähle.
Bis dahin, liebe Grüsse aus dem Südtirol von den Sextner-Dolomiten ✌🏼
Sascha

Ich freue mich jede Woche auf deine Wochenberichte. Ich hab das Gefühl bei jedem deiner Schritte dabei zu sein. Bin jedesmal aus der Puste, wen ich zu ende gelesen habe, da ich eingesogen werde.
Nimm dir die Zeit,ich denke von der hast du genug und pass weiterhin gut auf dich auf.
Dolomiten sehr schön ,für mich der schönste Ort im Süd Tirol.🤩⛰️
Viel Spass und geniess die Reise in der Natur.
Super was du machst. Das meiste kenne ich so nicht. Ausser die Sicht auf die drei Zinnen von meinen Töfftoren in den Dolomiten.
Gib auf dich acht und geniesse jeden augenblicklich.