
Via-Alpina Woche 20
… die letzten Tage bis nach Monaco
📏37km, ↗ 1’900m, ↘ 2’190m, 🗓️29.09. - 30.09.
Provence-Alpes-Côte d’Azur
Es ist Montagmorgen, kurz nach sieben Uhr. Ich erwache und bleibe vorerst im Bett liegen. Meine Gedanken schweifen um das Ende meines Abenteuers. Mit Stolz auf das, was ich hinter mir habe, und der Ungewissheit auf das Ende, stehe ich auf und frühstücke. Anschliessend packe ich meinen Rucksack und verlasse Sospel kurz nach neun Uhr in südwestlicher Richtung.
Die Route führt mich einen Hang hoch, in ein Seitental in Richtung Grenze des Nationalparks Le Mercantour.

Heute führen mich die Wege auf guten fünfundzwanzig Kilometern und über tausend dreihundert Höhenmeter Auf- und Abstieg nach Peillon. Dort entscheide ich dann, wo ich meine letzte Nacht verbringen werde. Geplant wäre zum Abschluss nochmals eine Nacht draussen.
Doch zuerst geht’s bergauf. Durch Pinienwälder mit riesigen Zapfen, vorbei an einem alten Peugeot und zwischendurch sogar mit Sicht aufs Mittelmeer, führt mich der Weg hoch auf den “Col du Farguet”.

Dies ist heute auch gleich mein höchster Punkt auf tausend einhundert Meter über Meer und mein letztes Mal auf über tausend Meter über Meer.
Hinab ins Tal, vorbei an stehengelassenen und verunfallten Autos, geht’s später wieder aufwärts zum nächsten Pass, dem “Col du St-Bernard", auf siebenhundertfünfzig Meter über Meer. Von dort führt mich der Weg hinab ins nächste Tal und ins verschlungene Bergdorf “Peille”.

Ich laufe nicht einfach schnurstracks durchs Dorf, sondern biege mitten im Dorf in eine Seitengasse ab. Denn hier ist heute fast die einzige Stelle, wo ich meine Wasserreserven auffüllen kann. Das Dorf ist so verwinkelt und gleicht einem Labyrinth, dass man ohne Navigationshilfe die Wasserstelle nicht intuitiv findet. Doch mit etwas Geschick und meiner Offline-Karte finde ich die einzige öffentliche Wasserstelle im Dorf.
Mit einer Kurbel, oben an einem kleinen Hydranten, kommt nach rund zehn Sekunden Kurbeln, Wasser aus dem Hydranten und so kann ich meine Reserven vollständig auffüllen.

Kurz darauf verlasse ich das Dorf auf dem gleichen Weg wie ich gekommen bin. Als hätte ich Brotkrümel gestreut, folge ich meiner Erinnerung. Mal geht es links, dann wieder rechts immer so hin und her, bis ich irgendwann wieder auf dem Wanderweg stehe, der durchs Dorf führt.
Die Wege führen mich wieder aus dem Dorf hinaus. Durch Wälder und an Schotterablagerungen vorbei geht’s hinauf ins nächste, nicht ganz so verwinkelte Bergdorf, nach “Peillon”.

Hier endet meine heutige Planung. Es ist drei Uhr nachmittags und ich mache einen ausgiebigen Rast im Schatten und esse etwas.
Nach der Pause entscheide ich mich, noch weiter zu laufen, um unterwegs irgendwo noch ein letztes Mal draussen zu schlafen. So wandere ich bereits heute einen Teil der morgigen, letzten Etappe. Auf der Karte habe ich mir dafür kurz ein, zwei Möglichkeiten rausgesucht, wo ich ein unentdecktes Camp für meine Nacht aufschlagen könnte. Nach rund fünf Kilometer wandern, treffe ich dann dort ein und finde im Wald eine perfekt geeignete Stelle für mein letztes Nachtlager.

Nach dem Aufbau meines Zeltes koche ich mir mein Abendessen und sitze noch lange draussen. Ich lasse meinen letzten Abend auf der Via-Alpina auf mich wirken. Es kommen mir gute, schlechte, schwierige, kalte, heisse und viele andere Momente in den Sinn. Allem voran sind jedoch Freude, Erfüllung, Ruhe und Stolz sehr präsent.
Kurz bevor ich ins Bett gehe, bemerke ich, dass es hier “unten” wieder Mücken gibt. Denn ich wurde etliche Male gestochen. Doch das ist mir heute so ziemlich egal. Glücklich und zufrieden, lege ich mich gegen neun Uhr schlafen.
Der letzte Morgen bricht an und ich bin bereits vor dem Sonnenaufgang wach. Ich frühstücke, packe etwas wehmütig ein letztes Mal meinen Rucksack und laufe los, als mich die ersten Sonnenstrahlen treffen.

Erst als ich losgewandert bin und den letzten Anstieg in Angriff nehme, wird mir bewusst, dass ich in weniger als zehn Kilometer am Ende meiner Reise bin. So richtig glauben kann ich es immer noch nicht.
Erst als ich fünfzig Minuten später, auf dem “Mont de la Bataille” auf sechshundertzwanzig Meter über Meer, eine perfekte Sicht auf Monaco und das Mittelmeer habe, wird mir so richtig bewusst, dass ich es tatsächlich geschafft habe.

Ich nehme mir Zeit, setze mich hin, lasse meinen Blick schweifen und den Moment auf mich wirken. In der Ferne höre ich das Grundrauschen der nahen Autobahn und viele andere Zivilisationsgeräusche. Später mache ich ein Video, ein Selfie und nehme nach über einer Stunde die letzten Meter hinunter ans Meer in Angriff.

Etwas weiter unten, wo die Bäume enden und die Häuser beginnen, liegt Monaco. Ich komme aus dem Wald und sehe vor mir Hochhäuser. Kurz darauf überquere ich eine unspektakuläre Strasse und verlasse somit das siebte Land auf meiner Reise und betrete das letzte und achte Land, Monaco.
Fünf Minuten später treffe ich Doris. Denn sie wandert mit mir die letzten Meter bis zum Palast, wo dann die Reise der offiziellen Via-Alpina beendet ist. Durch Häuserschluchten und hinab über Treppen und asphaltierte Strassen, führt mich der Weg am Hafen vorbei immer in Richtung Palast.

Dann, kurz vor zwölf Uhr, ist er da. Der Moment, in dem ich die letzten Meter meiner Via-Alpina laufe. Noch um eine Ecke und schon bin ich da. Am Ende meiner Reise.
Vor dem Palast stehen hunderte Leute, doch nicht um mich jubelnd zu empfangen, sondern um die Wachablösung beim Palast um Punkt zwölf zu beobachten. Ich stehe etwas verwirrt da und fühle mich komplett fehl am Platz. Trotzdem, wir warten, bis die Wachablösung vorbei ist, machen ein paar Fotos und verlassen den Platz wieder.

Eigentlich wollte ich noch zum Abschluss im Meer baden gehen, doch hier in Monaco gefällt es mir nicht. So laufen wir zum Bahnhof und fahren mit dem Zug eine knappe Stunde weiter südlich nach Antibes, wo wir auch gleich ein paar Tage bleiben werden.
Am späteren Nachmittag erreichen wir Antibes, wo ich meine Via-Alpina dann für mich offiziell mit einem Bad im Meer abschliessen kann.

Nachklang
Der Weg ist das Ziel. Das weiss ich und dennoch enttäuscht mich das Ende in Monaco. Ich fühlte mich fehl am Platz und finde Monaco unpassend für den Abschluss einer so wunderbaren Reise von Ost nach West über die Alpen. Denn die Erlebnisse, die Ruhe, die Ehrfurcht und die Verbundenheit mit der Natur und den Alpen verstummen hier im Lärm, der Rastlosigkeit und dem Prunk der Stadt. Diese Befürchtung hatte ich bereits drei Wochen vor meinem Ende. Dennoch, Monaco gilt offiziell als Alpenland und gehört zu den acht Alpenländer und ist somit auch Teil der Via-Alpina.
Mit diesem Bericht ist mein Abenteuer noch nicht ganz abgeschlossen. Ich muss meine Gedanken und Eindrücke noch etwas einordnen. Deshalb versuche ich, Ende Woche meine Reise mit einigen Zahlen, Fun Facts und Worten endgültig abzuschliessen. Ich freue mich, wenn auch du dann wieder mitliest.
Bis dahin, herzliche Grüsse wieder von zuhause, aus der Schweiz ✌🏼
Sascha

So, auch für uns Leser und digital Mitreisende. Es war super spannend mitzureisen und die wundervollen Momente mitzuerleben!
Ich gratuliere Dir ganz herzlich zum Abschluss lieber Sascha!
Werde weiteres vermissen...