
Via-Alpina Woche 12
Vom Engadin bis ins Tessin
📏105km, ↗ 4’770m, ↘ 5’910m, 🗓️04.08. - 10.08.
Engadin
Es ist Montagmorgen, acht Uhr, und wir liegen immer noch im Bett. Ausgeschlafen gehen wir beide erst kurz nach halb neun zum Frühstück. Es ist ein spezieller Montag, denn wir feiern heute unseren Hochzeitstag. Da denkt man vielleicht an spezielle Brunchs oder exklusive Hotels mit wunderbarer Sicht oder vielleicht auch an aussergewöhnliche Tätigkeiten. Doch nicht bei uns! Denn wir erfreuen uns an einfachen Dingen und lassen uns gerne intuitiv leiten. Weiter möchten wir einfach die gemeinsame Zeit miteinander geniessen. Da spielt der Ort eher eine sekundäre Rolle.
So feiern wir unseren Hochzeitstag in Thusis in einem herzlich eingerichteten Bed and Breakfast mit Dachterrasse und mit herrlich bequemen Betten. Ich glaube, ich kann behaupten, dass ich bisher auf meinem Trail noch nie in so einem bequemen Bett geschlafen habe.
Pläne für heute haben wir bisher keine. Wir geniessen unser Frühstück und entscheiden uns später spontan für einen Ausflug mit dem Poschi in die nahegelegene Viamalaschlucht.

Die Schlucht, welche durch den Hinterrhein erschaffen wurde, zeigt uns wieder einmal auf, dass die Natur in anderen Zeitdimensionen rechnet und Dinge über Jahrtausende erschaffen kann, die wir heute bestaunen dürfen.
Den Nachmittag geniessen wir in Thusis und auf der Sonnenterrasse unseres B&B’s. Am Abend lassen wir den Tag bei einem vorzüglichen Nachtessen ausklingen, spielen Karten und gehen erfüllt und glücklich ins Bett.

Heute Dienstag geht's für mich zurück auf die Via-Alpina und für Doris nach Hause. Wir frühstücken, checken aus und laufen gemeinsam zum Bahnhof. Dort warten wir, nebst vielen anderen, auf die Busverbindung nach Andeer, von wo ich dann umsteigen muss, um wieder nach Innerferrera zu gelangen. Als mein Poschi eintrifft, verabschieden wir uns voneinander und ich steige ein. Der Bus ist prallvoll und ich erwische gerade noch einer der letzten Sitzplätze. Nach wenigen Minuten fährt der Bus los und ich winke Doris nochmals zu.
Eine gute Stunde später steige ich dort aus, wo ich vor drei Tagen eingestiegen bin und pausiert habe. Ich bin wieder Back on Track!
Zuerst führt mich der Weg wieder über den Hinterrhein und dann sachte bergauf in Richtung Schweizer Grenze.

Oben auf dem “Pass da Niemet” geht's auf der italienischen Seite wieder runter nach Isola. Unterwegs höre ich verschiedene Podcasts und komme langsam hinab ins Tal. Der Weg talwärts ins Dorf ist auch Teil des Schweizer Kulturwanderwegs “Via-Spluga”, welcher ein historischer Alpen-Transitweg ist und von Thusis bis ins italienische Chiavenna führt. Eine knappe Stunde vor dem Dorf erblicke ich schon von weitem den charakteristischen See des Ortes Isola.

Kurz nach vier Uhr treffe ich im Dorf ein und überlege mir, ob ich denn noch einen Teil aufsteigen soll, um weiter oben wild zu campen. Doch ich bin heute nicht in Bestform und irgendwie müde. Deshalb nehme ich mir im Dorf ein einfaches Zimmer. Zum Abendessen gibt's eine Suppe und Polenta mit Brot. Später schreibe ich noch an meinem Blog und gehe früh ins Bett.

Am Morgen, kurz nach dem Frühstück, bin ich wieder in Bestform. Mich erwarten heute rund tausend dreihundert Höhenmeter Anstieg an einem Stück, damit ich oben auf die andere Seite wieder tausend dreihundert absteigen kann. Was für ein Witz! “Wieso kann ich nicht einfach mal oben bleiben?”, denke ich mir und starte kurz nach acht Uhr den Berg hinauf.
Der Weg führt mich zuerst über treppenartige Stufen leichtfüssig den Berg hoch bis die Wege danach über mühsames, rutschiges Gelände führen.

Weiter oben werden die Wege dann wieder angenehmer und ich lege bei einem kleinen See den ersten Rast ein, snacke etwas und geniesse die Ruhe und den Moment. Am anderen Seeufer entdecke ich einen Fischer und schaue ihm und den Fischen vor mir im Wasser gedankenversunken zu und vergesse fast die Zeit.

Nach rund dreissig Minuten geht’s weiter, hinauf zum “Passo di Baliscio”. Hier oben habe ich nun die tausend dreihundert Meter geschafft, nun geht’s wieder fast gleich viele Höhenmeter hinab ins Tal und zurück in die Schweiz.
Beim Pass treffe ich zwei junge Italiener, Luca und Matteo, die mich nach dem Weg, hinab nach Mesocco fragen. Denn ausgeschildert ist der Weg zwar, doch Markierungen gibt es hier auf der italienischen Seite leider keine. Dennoch, meine GPS-Uhr kennt den Weg und so laufen wir gemeinsam hinab und tauschen uns über die üblichen Themen am Berg aus.

Beim Abstieg überqueren wir die Grenze zur Schweiz und da muss ich schmunzeln und kann ihnen live im Gelände den Unterschied zwischen Italienischen und Schweizer Wanderwegen zeigen. Ohne zu übertreiben: doch die Schweizer Wege sind plötzlich besser beschaffen und vor allem, es gibt wieder Markierungen, was den Weg wieder klar erkennen lässt.
Gegen Mittag snacken wir frische Heidelbeeren von einem Strauch und ziehen kurz darauf weiter bergab. Etwas weiter unten, nach knapp der Hälfte des Abstiegs, steige ich aus unserer Dreierkonstellation aus und mache eine Mittagspause. Wir verabschieden uns voneinander und die beiden ziehen weiter bergab.

Nach meiner Mittagspause steige ich weiter ab nach “Pian San Giacomo”. Unterwegs telefoniere ich und entdecke die beiden Italiener sitzend in einer Wiese wieder, die wohl auch gerade in ihrer Mittagspause sind. Ich lächle, nicke ihnen zu und laufe telefonierend weiter.
Rund eine Stunde später und nochmals vierhundertfünfzig Höhenmeter weiter unten treffe ich in Mesocco ein. Das übrigens immer noch zum Kanton Graubünden gehört, doch dazu später mehr.

Als erstes kaufe ich im neu gebauten Coop frisches Obst ein, welches ich gleich verspeise und mache mich auf den Weg zur hiesigen Kirche. Denn ich bin noch viel zu früh unterwegs, um mein Zelt aufzuschlagen und so gehe ich nun noch kurz mein Handy laden.
In der Kirche finde ich auf der Empore, direkt neben der Orgel eine Steckdose, an der ich mein Handy laden kann. Währenddem ich warte, geniesse ich die Ruhe vor dem Hintergrundrauschen der A13 und erfahre Spannendes über die Kirche aus dem Dreizehnten Jahrhundert, die später im Barockstil renoviert wurde. Eine Stunde später ist mein Handy fertig geladen. Ich werfe als Dankeschön noch einige Münzen in die Kirchenkasse und verlasse zufrieden die Kirche durch den Haupteingang.

Nun geht’s an die Suche eines Nachtlagers. Ich steige nochmals rund zweihundert Höhenmeter auf und entdecke, entfernt vom Weg, eine ebene Fläche, wo ich mein Zelt aufschlagen kann. Später koche ich mir mein Nachtessen, entferne mir eine Zecke, die es sich bei mir gemütlich machen wollte, und geniesse den Abend.
Der Morgen startet nebelverhangen. Ich habe mein Zelt glücklicherweise unter dem Blätterdach des Waldes aufgestellt und so gelangte die Feuchtigkeit nicht bis zu meinem Zelt. Ich frühstücke, packe alles zusammen und werde, kurz bevor ich das Zelt zusammenpacke, mit einem zweiminütigen Regenschauer überrascht. Doch das Blätterdach ist so dicht, dass mich nur einzelne Tropfen erreichen.

Der Weg führt steil, tausend einhundert Höhenmeter, bergauf. Stetiger Begleiter sind der Nebel und die feucht-kühle Luft. Oben auf der “Bocchetta di Trescolmen” bin ich knapp über dem Nebel und steige auf die andere Seite ab nach Valbella (nicht das bei Lenzerheide) im Tal “Val Calanca” ab. Zuerst dachte ich mir “ah im Tessin gibt’s auch ein Valbella", doch wie ich später herausfinde, bin ich immer noch im Kanton Graubünden. Irgendwie hatte ich im Kopf, dass das ganze Dreieck im Süden der Schweiz der Kanton Tessin sei.

Kurz vor Valbella lege ich einen Rast ein, snacke und geniesse das Plätschern des Baches. Gleich daneben entdecke ich wilde Himbeeren, die mir die Pause versüssen. Unten im Dorf nehme ich die nächste Etappe in Angriff und steige nochmals neunhundert Höhenmeter in Richtung “Piz Giümela” auf.

Tessin
Unterwegs entscheide ich spontan, in einer Selbstversorgerhütte zu nächtigen und reserviere online noch kurz einen Platz. So geht's bergauf zum Pass di Giümela. Zuerst führt mich der Weg lange Zeit über Forststrassen, später dann über Schafweiden und zum Schluss hoch auf den Pass über ein Geröllfeld. Nach einem fünfminütigen Rast steige ich dreihundert Höhenmeter, auf die andere Seite, zur Hütte ab. Als ich bei der Hütte eintreffe, bin ich alleine. Ich erkunde die Hütte, deponiere mein Gepäck und geniesse die Sonne.

Kurz darauf trifft ein weiterer Gast ein. Es ist der Wanderer, den ich vorhin unterhalb der Hütte im Aufstieg entdeckte. Er wäscht sich beim Brunnen und wir kommen ins Gespräch. Er heisst Ermes, ist Italiener und kommt aus Ravenna. Während unseres Gesprächs bittet er mich, seinen Rücken nach Zecken abzusuchen. Ich bin etwas überrascht über diese Frage, doch ich entdecke keine. Den ganzen Abend unterhalten wir uns und er erzählt mir aus seinem Leben.
Ich bin beeindruckt, was er mit knapp 78 Jahren noch alles für Touren in den Bergen unternimmt und auch ein bisschen genervt davon, dass er immer wieder seine Routenoptionen von morgen mit mir durchgehen will. Eigentlich wollte ich den Abend geniessen, ein bisschen Blog schreiben und den Blick in die Ferne schweifen lassen. Trotzdem, irgendwann lässt er mich und ich kann den Sonnenuntergang für mich geniessen.


Die Nacht war ruhig. Als ich um sechs Uhr erwache, ist Ermes, wie angekündigt, schon weg. Ich frühstücke, packe alles zusammen und mache mich auf den Weg ins Tal. Heute geht’s auf über tausend siebenhundert Meter bergab nach Biasca.

Der Weg ist zu Beginn steil und führt mich hinab zum Fluss “Lesgiuna”. Unterwegs streife ich durch mehrere kleine Dörfer, mit typischen Steinhäusern, wobei einige davon zerfallen sind und einfach Wind und Wetter überlassen wurden. Auch wunderbare Bäche und Wasserfälle treffe ich an, die geradezu einladen, um darin zu baden. Doch früh morgens ist es mir aktuell noch zu kühl.

Der Weg führt mich weiter unten über eine geteerte Strasse. Irgendwann zweigt meine Route von der Strasse ab und ich lande auf einem etwas überwachsenen Weg. Je weiter ich vorankomme, desto überwachsener wird er, bis ich schliesslich steil absteigen sollte, dort jedoch kein Weg mehr ist. Dies ist mir dann doch zu gefährlich und so entscheide ich mich kurzerhand umzukehren und wieder fünfundvierzig Minuten auf demselben Weg, den ich gekommen bin, zurückzulaufen.

Zurück auf dem Weg muss ich einen Umweg laufen und entdecke weiter bergab wieder etliche Wasserstellen, die zum Baden einladen, doch baden lasse ich heute aus. "Nächste Woche dann”, sage ich zu mir und so treffe ich kurz vor zwei Uhr in Biasca ein, kann bereits im Hotel einchecken und meine Kleider waschen. Denn morgen und übermorgen lege ich zwei Ruhetage ein. Warum zwei, dazu gleich mehr.

Nach dem Waschen schreibe ich meiner Schwester, Sabrina. Denn sie besucht mich heute mit ihrem Partner, Raphael, und ihren gemeinsamen Kindern. Ich freue mich riesig und kurz darauf treffe ich sie auch bereits im Flur des Hotels. Wir begrüssen uns und setzen uns ins Restaurant direkt daneben. Etwas später am Nachmittag wagen wir uns in die Tessiner Hitze hinaus, besuchen eine Gelateria, planschen bei einem Brunnen und laufen zu einem Spielplatz. Wir plaudern viel und essen später zusammen unser Abendessen. Bald darauf reisen sie leider auch schon wieder ab. Wir verabschieden uns und machen zum Abschied noch ein Selfie.

Nun ja, warum zwei Ruhetage. Einer zum Ruhen, Einkaufen und Blog schreiben und der Zweite, um mein neues Handy wieder komplett einzurichten. Denn das Alte zeigt seit knapp zwei Wochen ein merkwürdiges Verhalten. Der Bildschirm flackert zwischendurch komplett grün. Diesen Zustand bringe ich nur weg, wenn ich eine feinen Schlag auf die Unterseite oder Hinterseite des Handys gebe. Zudem tritt dies vermehrt auf und so habe ich mich entschieden, ein neues Handy zu organisieren. Denn ich möchte bewusst vermeiden, dass eines meiner wichtigsten Werkzeuge auf meiner Reise aussteigt. So hat mir Sabrina bei ihrem Besuch auch gleich das Handy mitgebracht, welches ich dann morgen aufsetzen und einrichten werde.
Als Sabrina und Raphael abgereist sind, mache ich mich auf den Weg zum Bahnhof, denn dort wartet meine nächste Überraschung, Doris! Sie besucht mich spontan für eine Nacht. Ich bin erstaunt, wie schnell man doch mit dem Zug vom Freiamt ins Tessin reisen kann, denn ihre Fahrt dauert nur knapp zwei Stunden und so ist es ihr möglich, mich spontan für eine Nacht zu besuchen. Gespannt warte ich am Bahnhof auf ihre Ankunft. Kurz nachdem ihr Zug eingefahren ist, schlendern wir gemütlich zum Hotel, plaudern und gehen bald darauf schlafen.
Am nächsten Morgen frühstücken wir gemeinsam, geniessen den Vormittag und gehen später zusammen einkaufen. Am späteren Nachmittag reist Doris auch schon wieder ab und ich setze mein neues Handy fertig auf.
Am Sonntagmorgen frühstücke ich wieder ausgiebig im Hotel und packe meine Sachen zusammen. Denn für die nächste Nacht muss ich das Zimmer wechseln. Ich hinterlege meinen Rucksack und gönne mir ein bisschen Sightseeing mit dem Zug durchs Tessin und schreibe an meinem Blog. Durch die Übernachtung im Hotel habe ich nämlich ein “Ticino Ticket” erhalten, mit dem ich viele öffentliche Verkehrsmittel kostenlos nutzen kann; unter anderem auch viele Zugverbindungen.
So reise ich mit dem Zug zuerst nach Locarno, wo aktuell auch gleich noch das Filmfestival stattfindet, mache es mir auf einer roten Parkbank im Schatten am See gemütlich und schreibe an meinem Blog. Ein laues Lüftchen weht mir entgegen und dabei kommen und gehen viele Leute auf meiner Parkbank. Nach rund zwei Stunden verlasse ich Locarno und reise weiter nach Lugano.

In Lugano esse ich etwas, schreibe weiter an meinem Blog und fahre am späteren Nachmittag zurück nach Biasca. Zurück im Hotel kann ich mein neues Zimmer beziehen, welches sogar eine kleine Terrasse besitzt. Sozusagen ein Upgrade. Ich schreibe noch etwas am Blog, geniesse den Abend und gehe früh ins Bett, denn morgen geht's weiter und mich erwarten wieder viele Höhenmeter bei grosser Hitze.

Nachklang
Ich musste auf meiner Via-Alpina bisher etliche Male andere Wege gehen oder umdrehen, weil ein geplanter Weg vor Ort nicht zugänglich war oder der Weg schlichtweg nicht existierte. Obwohl ich Umwege oder Alternativen nicht mag, ist es dennoch sinnvoller, als sich unnötigen Risiken auszusetzen. So eben auch in dieser Woche auf dem Weg in Richtung Tal, hinab nach Biasca.
Das Wetter wird immer wärmer und verspricht in den nächsten Tagen viel Sonne. So nehme ich mir vor, nächste Woche mehr wild zu campen und unterwegs auch vermehrt Badestopps einzulegen. Zeit dazu habe ich ja genug.
Denn nächste Woche wird mich der Weg teils durchs Verzasca-Tal und entlang der Maggia, mit ihren wunderbaren Natur-Pools, führen. Gegen Ende Woche werde ich dann das Tessin bereits durchquert haben und im Wallis angekommen sein.
Bis dahin, sonnige Grüsse aus Ulrichen ✌🏼
Sascha
