
Via-Alpina Woche 1
vom Meer bis vor die Tore vom Triglav-Nationalpark
📏132km, ↗ 5’330m, ↘4’400m
Anreise nach Triest
Ich stehe am Perron und warte verkrampft auf meinen Zug. Ich merke, wie ich angespannt und nervös bin. Die wenigen Minuten, die ich noch warten muss, fühlen sich wie eine Ewigkeit an. Ich schweife in Gedanken ab.
Der Abschied von meiner Frau Doris, liegt gerade mal wenige Minuten zurück und war kein einfacher Moment. Seit Beginn der Idee, die Via-Alpina zu wandern, haben wir uns immer ehrlich und offen darüber ausgetauscht, wie es dem anderen ergeht oder welche Gedanken gerade beschäftigen.
Ein quietschendes Metallgeräusch reisst mich aus den Gedanken! Ich sehe den Zug anrollen und denke beim Einsteigen, bald sehen wir uns wieder!
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Alle paar Wochen wird sie mich besuchen und mit mir gemeinsam auf dem Trail unterwegs sein oder einfach gemeinsame Zeit mit mir geniessen.
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Die Fahrt nach Triest verläuft ohne grosse Verspätungen und ich muss sogar nur zweimal umsteigen.
Nach dem zweiten Umsteigen, sitze ich im Zug von Venedig nach Triest und höre über eine Lautsprecherdurchsage, dass am 23. Mai ein Streik des Zugpersonals angekündigt wird. Soweit für mich nicht relevant, da heute ja der 17. Mai ist und erfahre kurz darauf mit Schreck, dass der ursprüngliche Streik für heute angesetzt war! Doch die Gewerkschaft hat glücklicherweise den Streik aufgrund der Amtseinführung des neuen Papstes auf den 23. Mai verschoben. Ich habe vieles während meinen Vorbereitungen recherchiert, doch angekündigte Streiks habe ich nicht in meiner Planung vorgesehen. Nochmals Glück gehabt, sonst wäre es ein holpriger Start geworden.

Triest
In Triest steige ich aus und gehe dreissig Minuten zu Fuss bis zum Hotel. Es gäbe auch Busse, doch nach über acht Stunden Zug fahren, tut so eine kurze Laufrunde gerade gut.
Im Hotel werde ich freundlich empfangen und kann für zwei Nächte einchecken. Im zweiten Stock finde ich mein Zimmer auf Anhieb. Ich stecke den Zimmerschlüssel ins Schloss und öffne die Tür. Da steigt mir ein beissender Rauchgeruch in die Nase. Zurück an der Rezeption erkläre ich die Situation im Zimmer, worauf mir ein anderes angeboten wird. Jedoch nur für eine Nacht, da jenes für die nächste Nacht bereits gebucht ist. Am Tag darauf musste ich dann halt das Zimmer nochmals wechseln und erhielt sogar noch ein kleines Upgrade.
Es ist Morgen und ich mache mich früh auf die Suche nach einem Cafe, wo es Frühstück gibt. Anschliessend ist dann für den Rest des Tages noch Sightseeing geplant.

Da Triest so viele Sehenswürdigkeiten bietet, reicht eigentlich ein einziger Tag nicht aus, doch extra Tage habe ich nicht eingeplant, also muss dieser eine Tag ausreichen. So entdecke ich viel Spannendes über Geschichte und Kultur der Stadt, darunter auch, dass Triest bis zum Ersten Weltkrieg, also bis knapp vor hundert Jahren, noch zu Österreich gehörte, und das über fünfhundert Jahre lang. Wer übrigens mal nach Triest möchte und Geschichte und Kultur über die Stadt kostenlos erleben möchte, der kann dies mit einer App entdecken und dabei diverse kulturelle Routen durch die Stadt unternehmen.

Start
Es ist Montag, der 19. Mai und ich stehe im überfüllten Bus von Triest nach Muggia. Der eigentliche Start der Via-Alpina liegt in Muggia, also bin ich nun unterwegs dorthin. Vor dem Start schaue ich mich auf der Piazza um, prüfe die Route, mache noch ein Startfoto und dann geht's schon relativ unspektakulär los.

Nach kurzer Zeit verlasse ich die kleine Altstadt und steige auf. Es geht durch Wohnquartiere, wo ich überall Wegmarkierungen finde, jedoch keine richtigen, die auf die Via-Alpina hinweisen. “Eigentlich schade", denke ich mir. Denn auch bei der Piazza habe ich keine Hinweise auf den offiziellen Start/Endpunkt der Via-Alpina gefunden.

Ich laufe durch Wälder und Schutzgebiete und entferne mich immer mehr vom Meer. Die Temperaturen sind perfekt zum Wandern, die Luft riecht mediterran, der Weg ist ursprünglich, doch die Luftfeuchtigkeit raubt mir viel Energie. Es fühlt sich an wie damals, als ich im Regenwald von Costa-Rica wandern ging. Ich schwitze, obwohl ich im grösstenteils dichten, schattenspendenden Wald laufe. Die Wege sind teils überwachsen, naturbelassen und mystisch.

Die Vögel zwitschern und der Wind bläst leicht durch die Bäume, als ich unerwartet auf dem Weg etwas auf mich zu hoppeln sehe. Es ist ein wilder Hase, der mich noch nicht bemerkt hat. Ich beobachte ihn und warte auf den Moment, bis er mich bemerkt, seine Ohren aufstellt, mich ansieht und sich davon macht. Was dann auch so geschieht. Später am Tag entdecke ich auch noch wilde Ipex Bergziegen, teils mit pompösen Hörnern.

Mein heutiges Tagesziel liegt bereits fünf Kilometer in der nächsten Tagesetappe, so wandere ich bis zu einem kleinen Hotel und beziehe dort ein einfaches Zimmer. Nach dem Nachtessen telefoniere ich noch und schlafe sofort ein. Ab morgen werde ich dann, wenn immer möglich, im Zelt oder in Hütten schlafen und Hotels nur für Ruhetage oder Waschtage buchen.
Die ersten Tage in Slowenien
Nach dem Frühstück starte ich voller Vorfreude in den Tag. Der heutige Weg führt mich über eine Forststrasse nach Slowenien. Der Weg ist so unscheinbar, dass ich sogar den Grenzübertritt nicht bemerke. Erst nach zwei Kilometern komme ich an einem alten Kontrollposten vorbei. Kurz später entdecke ich ein erstes Hinweisschild, das auf die Via-Alpina verweist.

Der Weg führt auch an einem imposanten Wasserfall mit einer Höhle und einem unterirdischen Fluss vorbei, den man besichtigen kann. Doch ich schaue mir das nur von oben an. Leichtfüssig geht's durch Wälder und Wiesen. Die Wege sind sehr angenehm, obwohl diese teils sehr überwachsen, verwuchert, schlammig oder eng sind. An einer Stelle führt mich der Weg sogar durch einen kleinen Tunnel unter der Bahn durch, welcher ich nur in Kauerstellung gehen kann.


Unterwegs kaufe ich noch in einem kleinen Laden ein, um meinen Vorrat aufzustocken, was eigentlich nicht nötig wäre, doch dazu später mehr. Mein heutiges Ziel liegt noch gute zwei Stunden entfernt und wird ein Campingplatz sein.
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Ich liebe Wildcampen, doch Slowenien hat ein sehr striktes Wildcamping-Verbot, zudem kann ich fast kein Wort slowenisch und weiter bin ich in einer Gegend, in der Bärensichtung sich häufen (vor allem in Richtung Triglav). So verzichte ich, wenn immer möglich, in Slowenien auf Wildcampen und behalte mir das für die anderen Alpenländer vor.
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Am Abend entferne ich bereits die ersten zwei Zecken, die es sich bei mir gemütlich machen wollten. Später in der Nacht fängt es an zu regnen und die Temperaturen sinken. Mein Quilt (das ist eine Daunendecke, die zu einem Schlafsack gebunden werden kann) gibt mir zum Glück genügend warm. Der nächste Morgen startet feucht. Es hat die ganze Nacht geregnet, war kalt und beinahe windstill. Dies hat leider dazu geführt, dass mein Zelt nun innen und aussen feucht ist. Aussen vom Regen und innen vom Kondenswasser. Mein Quilt und ich sind jedoch trocken geblieben. Ich packe das nasse Zelt sowie den Rest zusammen und verlasse den Camping früh. Der Weg führt ca. zwei Stunden bergauf auf den Gipfel “Nanos”.

Auf dem Weg nach oben bemerke ich, wie mir mein Rucksack heute schwerer vorkommt als gestern. Nach einiger Zeit bin ich davon überzeugt, dass dies auch so ist! Den Grund kenne ich auch bereits. Gestern habe ich viel zu viel und unkoordiniert eingekauft. Begutachtet man meinen Essensvorrat, dann ist dieser in etwa so schwer wie mein Basisgewicht von fünf Kilogramm. Das Essen, das ich bei mir habe, reicht gut sieben Tage. “Wahrscheinlich habe ich Angst zu verhungern, dabei habe ich doch extra die Planung so gestaltet, dass ich nicht zu viel Gewicht mit mir herumtrage, auch beim Essensvorrat nicht!”, rege ich mich noch eine Weile darüber auf. Ich finde mich dann schlussendlich damit ab, dass ich mich nun die nächsten Tage von meinem Vorrat ernähre und nichts einkaufe. Kurz kam auch noch der Gedanke “ ich könnte ja einfach das zu viele Essen wegschmeissen”, doch Food-Waste entspricht mir nicht.
Das nächste Zwischenziel ist “Predjama” mit seiner berühmten Höhlenburg. Dort möchte ich einen kurzen Rast einlegen und diese Burg besichtigen. Doch vorher geht's zuerst wieder bergab, teils über schwierige Untergründe, welche mir schwer zu schaffen machen und energieraubend sind.

Drei Stunden später bin ich in Predjama und sehe die imposante Höhlenburg. Ich besorge mir ein Ticket, deponiere das Gepäck und besichtige die Burg. Mit meinem Handy als Audioguide erfahre ich spannende Geschichten zur Burg und dem Leben darauf. So z.B., dass der berühmteste Burgherr, der Raubritter “Erasmus”, einer Belagerung von mehr als einem Jahr standhielt und die Belagerten zum Spott mit Esswaren bewarf. Er hatte nämlich einen Geheimgang hinter den Felsen gebaut, wodurch er die Burg mit Nahrung von den umliegenden Dörfern versorgte.


Der Folgetag startet neblig und kühl. Mal regnet es stark, dann scheint wieder die Sonne. Der ganze Tag ist wechselhaft und das Wetter weiss nicht so recht, was es will. Für mich sehr mühsam, da ich immer wieder die Kleidung wechseln muss.

Meine Mittagspause verbringe ich in einem kleinen Dorf mit dem Namen “Crni Vrh”. Es scheint für mich auf den ersten Blick so, als dass da Vokale im Wort vergessen gingen. Doch sicherlich ist da alles korrekt und ich werde die nächsten Tage versuchen herauszufinden, wie man diesen Namen korrekt ausspricht.
Der Weg führt anschliessend steil bergab in die kleine Stadt Idrija, wo ich eine Pausentag einlegen werde. Denn die Wetterprognose im Triglav-Nationalpark, welchen ich in einigen Tagen durchquere, hat sich zu meinem Nachteil verschlechtert. Es gibt ca. zwanzig Zentimeter Neuschnee zum bereits liegenden Alt-Schnee. Die Überquerung dieses Teils der slowenischen Alpen beschäftigt mich gedanklich schon seit Wochen, da es noch früh in der Saison ist und aufgrund dessen noch relativ viel Schnee liegt. Deshalb kommt mir der Pausentag gerade recht, um die Überquerung noch einen Tag weiter hinauszuzögern. Wobei ich natürlich hoffe, das Wetter dann auf meiner Seite zu haben.

In Idrija nehme ich mir ein Zimmer in einem Gästehaus und schlafe am nächsten Tag aus. Ich erledige diverse Dinge und schreibe in einem kleinen Stadtkaffee an meinem Blog. Am Nachmittag geht's auf Besichtigungstour durch das Städtchen. Früher wurde hier viel Quecksilber-Bergbau betrieben. Neben einem UNESCO Bergwerk gibt es viele kleine Sehenswürdigkeiten wie z.B. das grösste Holzrad Europas zu besichtigen (mit dem früher Wasser aus dem Bergwerk gepumpt wurde).

Am nächsten Morgen geht's weiter. Zunächst noch durch Idrija und schon bald verlasse ich die Stadt bergauf. Der Weg führt in den Wald. Kurz bevor ich in den Nebel aufsteige, werfe ich noch eine letzten Blick zurück. Dann wird die Luft kühler und feuchter. Nach etwa fünfhundert Höhenmeter Aufstieg, habe ich den Nebel unter mir gelassen und erhasche in einer Waldschneise einen ersten Blick auf den stahlblauen Himmel und das Nebelmeer.

Später führt der Weg durch Dörfer, die mich irgendwie an das Emmental erinnern, bzw. an den “Hüggu Himmu”, für diejenigen unter euch, die das kennen. Alles ist sanft in die Landschaft eingebettet und bei diesem traumhaften Wetter läuft es sich heute wie von selbst.

Mein heutiges Tagesziel ist eine Hütte des slowenischen Alpenvereins. Ich bin heute der einzige Gast hier. Die Hütte ist bereits etwas in die Jahr gekommen. Doch die Hüttenwartin ist freundlich. Ich geniesse draussen das Wetter und erhalte von ihr nichtsahnend einen Waldbeerstrudel. Etwas perplex schaue ich auf den Teller und zu ihr. Sie erklärt mir, was da drin ist. Dann lasse ich ihn mir schmecken. Er duftet herrlich und ist ganz frisch gemacht, einfach köstlich. Vermutlich sehe ich sehr hungrig aus. Übrigens, ich bin fleissig, meinen riesigen Essensvorrat am Verputzen. Bis zu meinem nächsten Einkauf in Trenta wird dieser wohl gegessen sein.
Die Aussicht von hier ist gemütlich und ich kann meinen Abend mit einem hausgemachten Gulasch, Salat und etwas Ähnlichem wie Knödel ausklingen lassen. Bevor ich zu Bett gehe, unterhalte ich mich noch mit der Hüttenwartin über Slowenien, dem Essen und wann ich denn Frühstück möchte. Ich verstehe nicht ganz alles, was sie mir erzählt, denn sie vermischt Slowenisch und Englisch. Doch im Groben kann ich ihr folgen und verabschiede mich bis Morgen.

Nachklang
Was für eine Woche! Ich bin vor sieben Tagen in den Zug gestiegen und habe mich auf dieses Abenteuer gemacht. Erst jetzt realisiere ich langsam richtig, wo ich bin und wohin die Reise noch gehen wird. Die langen und akribischen Vorbereitungen zahlen sich aus. Dies gibt mir unterwegs Sicherheit und ich kann mich voll und ganz auf den Trail, die Natur und alles drum herum einlassen.
Ich erlebe jeden Tag so viele Eindrücke, dass ich selbst nicht alles immer sofort verarbeiten kann. Ich versuche mich in meinem Blog auf das Wesentliche zu beschränken. Wenn du mehr erfahren möchtest, darfst du dich gerne direkt bei mir melden, oder auch mal eine Etappe mitwandern. 🙂
Übrigens, hatte ich bisher keinen Muskelkater. Einzig, dass ich jeweils am Morgen etwas schwache Beine habe, doch nur bis ich wieder warm gelaufen bin und dies wird jeden Tag auch besser. Ich fühle, wie sich mein Körper an diese extreme Belastung gewöhnt und habe auch einen immer grösseren Hunger. Mal schauen, ob sich auch bei mir der in der Thruhiker-Szene bekannte “Hiker-Hunger” zeigt.
Als nächstes geht's in etwa sechs Etappen durch den Triglav-Nationalpark. Ich melde mich wieder, wenn ich diesen durchquert habe.
Bis dahin, liebe Grüsse aus Slowenien ✌🏼
Sascha

Es esch e Fröid din Blog z'läse ond eso au fascht e chli met z'räise. Mer wönschid der vell gueti Begägnige, guets Wätter ond en unfallfreii Räis.
Danke für deinen tollen Blog. Weiterhin gute Reise mit Wetterglück und vielen tollen Eindrücken.. LG